Familienministerin Franziska Giffey (SPD) hat nach den Vorkommnissen des vergangenen Wochenendes am Freitag als erstes Mitglied der Bundesregierung Chemnitz besucht. Sie legte am Morgen Blumen an dem Ort nieder, an dem in der Nacht zum Sonntag ein 35-jähriger Mann mutmaßlich von zwei Migranten erstochen worden war. Im Anschluss sprach sie von einem "zutiefst emotionalen Erlebnis". Zugleich sagte sie der Stadt ihre Unterstützung zu und forderte mehr Wertschätzung für die Ostdeutschen.
Der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) versprach bei einem Bürgergespräch eine lückenlose Aufklärung der Vorgänge der zurückliegenden Tage. Begleitet von einer Demonstration, zu der die rechtspopulistische Bewegung "Pro Chemnitz" aufgerufen hatte, warb Kretschmer am Donnerstagabend im Chemnitzer Stadion um Vertrauen in den Rechtsstaat. Weiter warnte er davor, dass Halbwahrheiten, Stimmungsmache und Fake News die Oberhand gewinnen. Grundlage des Zusammenlebens seien Demokratie und Rechtsstaatlichkeit.
Weitere Demonstrationen geplant
Für die nächsten Tage sind in Chemnitz weitere Demonstrationen geplant. Das Bündnis "Chemnitz Nazifrei" kündigte für Samstag eine Protestveranstaltung gegen eine am selben Tag geplante AfD-Demonstration an. Für Sonntag lädt die Evangelisch-Lutherische Kirche zu einer Kundgebung auf den Neumarkt ein. Am Montag beteiligen sich mehrere bekannte deutsche Bands an einem Konzert in der sächsischen Stadt.
In Chemnitz war in der Nacht zum Sonntag am Rande des Stadtfestes ein 35-jähriger Deutscher erstochen worden. Zwei weitere Männer wurden zum Teil schwer verletzt. Zwei mutmaßliche Täter, ein 22-jähriger Iraker und ein 23-jähriger Syrer, sitzen in Untersuchungshaft. Der Vorfall löste zum Teil gewaltsame Demonstrationen aus dem rechten Spektrum aus. Am Sonntag kam es zu Angriffen auf ausländisch aussehende Menschen. Am Montag mobilisierten zum Teil gewaltbereite Rechte rund 6.000 Demonstranten. Die etwa 600 Polizisten im Einsatz hatten Mühe, sie von den rund 1.000 Gegendemonstranten zu trennen. Es gab 20 Verletzte.
Kretschmer forderte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge auf, über mögliche Versäumnisse beim Abschiebungsverfahren für den irakischen Tatverdächtigen von Chemnitz aufzuklären. Die Menschen hätten einen Anspruch auf eine öffentliche Darlegung, sagte Kretschmer am Freitag im "Morgenmagazin" des ZDF. Medienberichten zufolge, die sich auf Angaben des Verwaltungsgerichts Chemnitz stützen, hätte der Iraker im Jahr 2016 abgeschoben werden können, weil er bereits in Bulgarien einen Asylantrag gestellt hatte.
Inzwischen ist nach der Veröffentlichung des Haftbefehls zur tödlichen Messerstecherei von Chemnitz ein sächsischer Justizbediensteter vom Dienst suspendiert worden. Er hatte das vertrauliche Papier offenbar illegal in die Öffentlichkeit gebracht.
Der Regierende Bürgermeister von Berlin und amtierende Bundesratspräsident Michael Müller (SPD) rief nach den Ausschreitungen in Chemnitz zu einem Aufstand gegen rechts auf. "Wir lassen uns unsere Demokratie und unseren Rechtsstaat nicht kaputt machen", erklärte Müller am Freitag in Berlin. Es dürfe nicht zugelassen werden, "dass eine kleine Minderheit das zerstört, was wir uns gemeinsam in Jahrzehnten aufgebaut haben", nämlich "eine liberale, weltoffene und auch deshalb erfolgreiche Gesellschaft". Am Donnerstagabend gingen in Berlin rund 5.000 Menschen auf die Straße, um gegen Rassismus und Rechtsextremismus in der Hauptstadt und Chemnitz zu demonstrieren.