Nürnberg (epd). Im Jahr 2015 fielen mehr als 1,8 Milliarden Überstunden an, knapp eine Milliarde davon war unbezahlt, wie das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) am Dienstag dem Evangelischen Pressedienst (epd) mitteilte. Das war ein leichter Anstieg gegenüber dem Vorjahr.
Nach Angaben der zur Bundesagentur für Arbeit gehörenden Forschungsstelle leisteten die Arbeitnehmer im vergangenen Jahr 816 Millionen bezahlte und 997 Millionen unbezahlte Überstunden. 2014 waren es 798 Millionen entlohnte und 993 Millionen nicht entlohnte Überstunden. Umgerechnet auf den einzelnen Beschäftigten waren das 2015 jährlich 21,1 bezahlte und 25,7 unbezahlte Überstunden.
Mit Freizeit ausgeglichen
"Die Entwicklung hat sich nicht verschärft, es gibt keinen besonderen Trend", sagte Enzo Weber, Leiter des IAB-Forschungsbereichs Prognosen und Strukturanalysen. Ob das Niveau der Überstunden insgesamt zu hoch sei, darüber könne man streiten. Die Mehrarbeit sei kein zwingendes Indiz dafür, dass in den Unternehmen Personal fehle. Tatsache sei jedoch, dass bei guter Konjunktur und damit hoher Beschäftigtenzahl auch stets viele Überstunden anfielen, betonte der Professor.
Er verwies zudem darauf, dass das Volumen der bezahlten Überstunden seit Jahren zurückgehe. 2011 wurden noch 916 Millionen zusätzliche Stunden gearbeitet, 2014 waren es 798 Millionen. "Die meisten Überstunden werden in Freizeit ausgeglichen", erläuterte Weber. Das lasse sich gut nachweisen, weil diese Effekte in den Arbeitszeitkonten der Firmen nachweisbar seien.
Zu den unbezahlten Überstunden merkte der Experte zudem an, dass sie "eher selten vom Arbeiter am Fließband" geleistet würden. Die Daten zeigten vielmehr, dass es überwiegend leitende Angestellte und außertarifliche bezahlte Führungskräfte seien, die viele Überstunden machten. Das sei aber auch in deren Arbeitsverträgen so festgeschrieben.
Linke: Spiegelbild von Arbeitsverdichtung und Stress
Die arbeitsmarktpolitische Sprecherin der Linksfraktion, Sabine Zimmermann, erklärte dagegen in der "Saarbrücker Zeitung" (Dienstagsausgabe), die Zahlen des IAB zeigten, wie eng die Personaldecke in den Unternehmen sei. Überstunden seien ein Spiegelbild von Arbeitsverdichtung und zunehmendem Stress. "Deutschland würde ein wahres Jobwunder erleben, wenn die Unternehmen, statt Überstunden zu verlangen, Stellen einrichten würden", sagte Zimmermann.
DGB-Vorstandmitglied Annelie Buntenbach kritisierte ebenfalls den Umfang an nicht entlohnter Mehrarbeit: "Fast eine Milliarde unbezahlter Überstunden sind ein Skandal, der schnell beendet werden muss", sagte sie der Zeitung.
Jeder dritte Vollzeitbeschäftigte in Deutschland arbeitet laut DGB mehr als 45 Stunden pro Woche. 17 Prozent arbeiteten sogar mehr als 48 Stunden. Das geht aus einer Auswertung des DGB-Indexes "Gute Arbeit" hervor, der im Februar vorgestellt wurde. Besonders anfällig für Überstunden sind demnach Arbeitnehmer in Leitungsfunktionen. Insgesamt geben 44 Prozent von ihnen an, 45 Stunden und mehr zu arbeiten. Jeder vierte leitende Angestellte ist 48 Stunden und mehr pro Woche tätig.