Berlin (epd). Am 75. Jahrestag des Überfalls auf die Sowjetunion hat Bundespräsident Joachim Gauck an die Opfer des NS-Vernichtungsfeldzugs erinnert. "Kein Land hat im Zweiten Weltkrieg so große Opfer gebracht wie die Sowjetunion: Fast 27 Millionen Menschen verloren ihr Leben", erklärte Gauck am Mittwoch in Berlin. Hitler und seine Schergen hätten "die Vernichtung der Sowjetunion, die Versklavung ihrer Bürger und die Ausbeutung des Landes" gewollt. Die Grünen im Bundestag forderten das Parlament dazu auf, die sowjetischen Kriegsgefangenen als Opfer des NS-Regimes offiziell anzuerkennen.
Hohe Verluste der Roten Armee
Die deutsche Wehrmacht hatte den Krieg gegen die Sowjets am 22. Juni 1941 begonnen. Der Feldzug sei von vielen Deutschen unterstützt worden, erklärte Gauck. Zahllose Zivilisten, kommunistische Funktionäre, Sinti und Roma und Psychiatriepatienten seien ermordet worden. Zudem habe die sowjetische Armee beim Sieg der alliierten Truppen ungeheure Verluste erlitten, sagte der Bundespräsident. Das grauenhafte Schicksal der sowjetischen Kriegsgefangenen liege in Deutschland indes bis heute "noch weitgehend in einem Erinnerungsschatten".
Die sowjetischen Kriegsgefangenen sind nach den Juden die größte Opfergruppe unter den Nazis. Rund drei Millionen Rotarmisten starben in deutscher Gefangenschaft. Um ihr Schicksal aufzuklären, kündigte Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) zusammen mit seinem russischen Amtskollegen Sergej Lawrow ein neues gemeinsames Projekt an. Bereits erfolgte und künftige Recherchen über den Verbleib russischer, aber auch deutscher Kriegsgefangener, sollten digitalisiert und in Datenbanken zusammengeführt werden, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung.
Grüne: Kriegsgefangene als NS-Opfer anerkennen
Unterdessen dringen die Grünen im Bundestag darauf, die sowjetischen Kriegsgefangenen als Opfer des NS-Regimes anzuerkennen. Zwar habe der Bundestag im vergangenen Jahr für sie eine Entschädigung in Höhe von jeweils 2.500 Euro beschlossen. "Aber Geld ist das eine, klare, unmissverständliche Worte sind das andere", schreiben die Abgeordneten Marieluise Beck und Volker Beck.
Die Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Fraktion, Christine Lambrecht, setzt sich ebenfalls dafür ein, die sowjetischen Kriegsgefangenen als Opfer der NS-Diktatur anzuerkennen. Der 75. Jahrestag des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion sei ein guter Anlass, darüber zu sprechen, sagte sie. Die Kritik, dass im Bundestag keine offizielle Gedenkstunde angesetzt sei, wies Lambrecht allerdings zurück. Es werde im Parlament eine "würdige und angemessene Debatte" geben, sagte sie vor der für den Nachmittag geplanten Bundestagssitzung.
Am Mittwochnachmittag werden Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) und der Präsident des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge, Markus Meckel, zudem auf einer Gedenkveranstaltung im Deutschen Historischen Museum in Berlin erwartet. Auch die russische Botschaft hat für den Abend zu einem Gedenkkonzert in den Berliner Dom eingeladen. Bereits am Vormittag hatte es auf Initiative der russischen Botschaft sowie anderer Botschaften der Nachfolgestaaten der Sowjetunion eine Kranzniederlegung am Ehrenmal im Berliner Treptower Park gegeben.