Das Lausitzer Braunkohlerevier war über Pfingsten Brennpunkt europäischer Anti-Kohle-Proteste. Für 48 Stunden besetzten Umweltaktivisten den Tagebau Welzow-Süd und blockierten mehr als 24 Stunden lang den Nachschub für das Braunkohlekraftwerk "Schwarze Pumpe". Der Energiekonzern Vattenfall musste die Leistung des Kraftwerks vorübergehend um 80 Prozent drosseln. Der Tagebaubetrieb wurde über Pfingsten eingestellt.
Am Samstagabend kam es zu gewalttätigen Ausschreitungen, als nach Angaben der Polizei etwa 300 Umweltaktivisten auf das Gelände des Kraftwerks eindrangen und dabei Zäune niederrissen und das Sicherheitspersonal attackierten. Die Polizei nahm 130 Menschen fest, die am Sonntag wieder entlassen wurden. Gegen sie wird wegen schweren Landfriedensbruchs ermittelt. Zwei Demonstranten wurden verletzt und in einem Krankenhaus versorgt.
Das federführende Protestbündnis "Ende Gelände" sprach am Sonntag von einem großen Erfolg der Kohlegegner. An den "Aktionen zivilen Ungehorsams" hätten sich mehr als 2.000 Menschen aus ganz Europa beteiligt. Besetzt wurden Knotenpunkte der Grubenbahnen, Förderbrücken und Förderbänder. Zudem ketteten sich Hunderte an Bahngleisen fest oder ließen sich festbetonieren. "Das Aktionswochenende hat alle unsere Erwartungen übertroffen", sagte Bündnis-Sprecherin Hannah Eichberger.
Auch nach dem offiziellen Ende der Aktionen am Sonntagnachmittag setzten einige hundert Kohlegegner die Blockaden fort. Sie wurden schließlich von der Polizei beendet, vier Blockierer wurden von Spezialisten von Gleisen getrennt, Wie die Polizei am Montag mitteilte, wurden 36 Umweltaktivisten vorübergehend festgenommen. Gegen sie laufen Strafanzeigen unter anderem wegen Sachbeschädigung und Eingriffs in den Bahnverkehr.
Die brandenburgische Landesregierung verurteilte die Eskalation der Proteste scharf. Jeder habe das Recht, seine Meinung und auch seinen Protest auszudrücken, erklärte Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) in Potsdam. Demonstrations-, Versammlungs- und Meinungsfreiheit dürften aber nicht missbraucht werden. "Wenn Aktionen in Gewalt und Nötigung umschlagen, ist eine rote Linie erreicht", sagte Woidke.
Brandenburgs Wirtschaftsminister Albrecht Gerber (SPD) sprach von einer vollkommen inakzeptablen Form von Selbstjustiz durch aus ganz Europa anreisende Rechtsbrecher. Der Energiekonzern Vattenfall stellte Strafanzeige wegen Nötigung und Hausfriedensbruch. Die Proteste hätten eine "absolut neue Qualität", hieß es.
Zentrum des Anti-Kohle-Protestes war das jährliche Klimacamp in dem Dorf Proschim mit nach Veranstalterangaben mehr als 3.500 Teilnehmern aus mehr als zwölf Ländern. Dazu aufgerufen hatten etwa 50 verschiedene Initiativen und Umweltorganisationen. An einer Demonstration für einen umgehenden Kohleausstieg nahm am Samstag unter anderem auch die Bundesvorsitzende der Grünen, Simone Peter, teil. Der Protest war Teil einer weltweiten Aktion, die sich unter dem Slogan "#breakfree2016" gegen die Nutzung fossiler Rohstoffe wie Kohle und Öl richtet.
Übergriffen auf Umweltaktivisten
Ebenfalls am Samstag demonstrierten nach Polizeiangaben rund 2.000 Kohlebefürworter in der Region, darunter viele Kommunalpolitiker. Nach Augenzeugenberichten kam es im Anschluss wiederholt zu Übergriffen und Attacken von Einheimischen und Neonazis gegen die Umweltaktivisten. Unter anderem wurden Feuerwerkskörper auf die Blockierer geworfen und Reifen an Autos von Kohle-Gegnern zerstochen. Ein Reporter der "tageszeitung" berichtete, ein Unbekannter habe versucht, ihn von der Straße abzudrängen. In der Nacht zu Montag verhinderte die Polizei in Proschim Attacken einer Gruppe von Rechtsextremen auf das Klimacamp. Es seien 57 Platzverweise ausgesprochen worden, hieß es.
In dem Tagebau Welzow-Süd des schwedischen Energiekonzerns Vattenfall werden jährlich rund 20 Millionen Tonnen Braunkohle gefördert. Vor wenigen Wochen hat Vattenfall angekündigt, aus der Braunkohleförderung auszusteigen. Tagebaue und Kraftwerke in Deutschland werden an das tschechische Energieunternehmen EPH und den Finanzinvestor PPF Investments verkauft.