Millionen Menschen
Frankfurt a.M. (epd)Klimaforscher malen ein düsteres Bild: Bei ungebremster Erderwärmung werden Dürren, Fluten und Stürme immer mehr Menschen in die Flucht treiben. Die Mahnung ist nicht neu, Politiker greifen sie in der aktuellen Flüchtlingskrise aber verstärkt auf. Sie halten einen zusätzlichen Andrang schutzsuchender Männer, Frauen und Kinder in Europa für möglich. Es drohe ein "kolossales Migrantenproblem", das zu einer Frage von Krieg und Frieden werden könne, erklärte jüngst Frankreichs Außenminister Laurent Fabius, der den Pariser Klimagipfel (30.11. bis 11.12.) leiten wird.
200 Millionen Klimaflüchtlinge
Mit wie vielen Vertriebenen zu rechnen ist, lässt sich indes schwer abschätzen. Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU) warnte im Sommer vor 200 Millionen Klimaflüchtlingen bis 2050. Die Zahl stammt aus einer Prognose des Oxford-Professors Norman Myers aus dem Jahr 2005, die auch Eingang in die Berichte des Weltklimarates gefunden hat. Andere sind mit Vorhersagen vorsichtiger: "Es gibt keine verlässliche Schätzung zum künftigen Ausmaß klimabedingter Migration", erklärt etwa die Internationale Organisation für Migration. Unstrittig sei aber, dass gravierende Umweltveränderungen bereits jetzt Menschen dazu zwinge, ihre Heimat zu verlassen.
Aktuell treiben Naturkatastrophen jährlich 26 Millionen Menschen in die Flucht, wie der Norwegische Flüchtlingsrat errechnet hat. Welchen Anteil der Klimawandel daran hat, ist schwer zu bestimmen. Denn es ist nicht möglich, ein einzelnes Wetterereignis auf den globalen Temperaturanstieg zurückzuführen. Die Forschung geht aber davon aus, dass der Klimawandel insgesamt die Wetterextreme in den vergangenen Jahrzehnten verstärkt hat. Ein Indiz dafür liefern Daten der Versicherungsbranche: Laut Munich Re haben sich die Schäden durch Unwetter seit den 80er Jahren verdreifacht.
"Klar ist: Der Klimawandel ist ein Treiber von Migration", sagt Sophia Wirsching von "Brot für die Welt". Allerdings verlasse die Mehrheit der Flüchtenden ihr Heimatland nicht, sondern suche Schutz innerhalb der Staatsgrenzen, betont die Migrationsexpertin. "Um ins Ausland zu gehen, haben die meisten überhaupt nicht die Mittel."
Stärker aus dem Gleichgewicht
Beispiel Bangladesch: In den Slums der Hauptstadt Dhaka leben Millionen Menschen, die aus der Küstenregion geflohen sind. Unter anderem bringen sie sich vor dem steigenden Meeresspiegel in Sicherheit. Die Insel Bola zum Beispiel hat seit 1965 die Hälfte ihrer ursprünglichem 64.000 Quadratkilometer Fläche verloren. Vielerorts versalzen die Böden, landwirtschaftlicher Anbau wird unmöglich. Ein Grund liegt in der örtlichen Plattentektonik, die ein Absinken der Region bewirkt. Hinzu kommt aber, dass die Gletscherschmelze infolge der Erderwärmung größere Wassermassen ins Meer spült. Auch die Flüsse führen daher mehr Wasser, die besiedelten Ufer erodieren.
Der Klimawandel verschärft also die Notlage der Armen und bringt wirtschaftlich unterentwickelte Gesellschaften noch stärker aus dem Gleichgewicht. Sicherheitsexperten warnen daher vor einer Zunahme sozialer und politischer Konflikte. Umsiedlungen im großen Stil könnten die lokale und die regionale Stabilität gefährden, heißt es in einer Studie, die die Bundesregierung im Rahmen ihrer G-7-Präsidentschaft in Auftrag gegeben hat. Auch könnten knapper werdende Anbauflächen und Trinkwasserressourcen, steigende Lebensmittelpreise zu gewalttätigen Verteilungskämpfen führen. "Die größten Risiken entstehen, wenn die Folgen des Klimawandels schwache Staaten überfordern", schreiben die Autoren.
Auch der derzeit verheerendste Konflikt, der syrische Bürgerkrieg mit 200.000 Toten und Millionen Flüchtlingen, hängt womöglich mit der Erderwärmung zusammen. Laut einer Studie US-amerikanischer Wissenschaftler vom vergangenen März hat eine ungewöhnlich heftige Dürre in den Jahren 2006 bis 2010 die ohnehin bestehenden sozialen und politischen Spannungen in dem arabischen Land verstärkt, die 2011 zum Ausbruch des Krieges führten. Die Modelle der internationalen Klimaforschung könnten die Trockenheit in der Region als Folge der Erwärmung erklären. Der Klimawandel sei zwar nicht Ursache des Bürgerkriegs, habe aber als "Katalysator" gesellschaftlicher Verwerfungen gewirkt, heißt es in der Untersuchung.