Porträtbilder der Gestorbenen
Stuttgart (epd)Der Trend kommt aus dem europäischen Süden und Osten und verbreitet sich langsam in Deutschland: Immer mehr Grabsteine zeigen ein Porträtbild des Menschen, der dort ruht. Mal auf Porzellantäfelchen, mal in den Stein geprägt, erinnern die Gesichter an Eltern, Geschwister und Kinder. Vor allem in katholisch geprägten ländlichen Orten sind sie oft zu finden. "Russlanddeutsche haben das mitgebracht", erklärt Helmut Ramsaier, Vorsitzender des Verbands der kontrollierten Bestatter in Stuttgart. Aber auch in Italien, Spanien und Griechenland seien Bilder am Grab verbreitet.
"Das nimmt immer mehr zu, und zwar unabhängig von Glaube und Konfession", stellt Norbert Fischer fest, Kulturwissenschaftler und Trauerexperte an der Universität Hamburg. Erinnerungsbildchen seien häufig schon am vorläufigen Grabkreuz oder dem Totenbrett angebracht, bestätigt Christian Streidt, Präsident des Bundesverbandes Deutscher Bestatter. "Wer das Gesicht dort vor sich hat, möchte es später oft auch auf dem Grabstein haben."
Bilder lange tabu
Noch stärker wachse der Wunsch zur "bildlichen" Trauer bei Abschiedsfeiern und Bestattungen, sagt Ramsaier. Bei 90 Prozent werde heute mit Fotos des Verstorbenen gearbeitet.
Bilder auf Grabsteine zu bringen, war auf kommunalen Friedhöfen lange tabu. Friedhofssatzungen ließ das nicht zu. Laut Fischer ging dies zurück auf eine Reformbewegung in den 1920er Jahren, die von pompösen Grabstätten weg zu möglichst gleichen Gräbern führen sollte: "Das galt als fortschrittlich."
Gustav Treulieb, Bundesinnungsmeister der deutschen Steinmetze, erinnert sich noch, dass manchmal kleine Fächer in Grabsteinen versteckt wurden, damit die Hinterbliebenen dort - hinter Türen - ein Bild aufstellen konnten. Erst vor rund zehn Jahren seien die Vorgaben gelockert worden - nach einigen erfolgreichen Klagen. Heute seien Bilder am Grabstein in den meisten Gemeinden kein Problem mehr, sagt Streidt vom Bundesverband der Bestatter.
Beerdigungen werden individueller
Zwar entschieden sich weiterhin viele Angehörige für eine anonyme Bestattung, vor allem im Osten Deutschlands. Aber unter dem Strich würden die Beerdigungen individueller, hat er festgestellt: "Derjenige, der richtig trauern möchte, macht mehr."
Und Kulturwissenschaftler Fischer führt aus: "Dort, wo es alternative Angebote gibt, die qualitativ hochwertig sind, wird der Trend zur anonymen Bestattung gestoppt." Mit der Abkehr von traditionellen Trauerriten gäbe es viele Möglichkeiten für Bestattung und Trauer. Das lasse vor allem die Kirchen etwas ratlos zurück, urteilt er: "Vielleicht haben sie die Beerdigungen zu lange als ureigene Domäne betrachtet."
Der Hamburger Experte sieht die Individualisierung als "eine Befreiung". Inzwischen sei es unvorstellbar, dass Eltern vor einigen Jahrzehnten nicht einmal ein Spielzeug oder ein anderes Andenken auf das Grab ihres Kindes hätten legen dürfen. "Den Betroffenen wird es heute leichter gemacht, auf ihre Weise Abschied zu nehmen."