Münster (epd)Der Münsteraner Religionssoziologe Detlef Pollack macht den Kirchen wenig Hoffnung: Durch wachsenden Wohlstand und zunehmende Individualisierung nimmt die Religiosität in der westlichen Welt nach seiner Analyse kontinuierlich ab. Tun lasse sich dagegen wenig, sagt der Experte im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). Die Ursache liege weniger in einer Unzufriedenheit von Menschen mit ihrer Kirche. Vielen seien schlicht andere Angebote wichtiger, erklärt der Sprecher des Exzellenzclusters Religion und Politik an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Er rät den Kirchen, ihr Image zu pflegen und noch mehr Wert auf die Arbeit vor Ort zu legen.
Religion als Unterbrechung des Alltags
epd: Ist Religion nur noch für Menschen attraktiv, die in Armut, Not und in undemokratischen Verhältnissen leben?
Pollack: Auch wenn Religion nicht zum gesamtgesellschaftlich unterstellten Konsens gehört, kann sie sinnstiftend sein. Menschen ziehen aus religiösen Gebeten Trost und Beruhigung, Hoffnung und Vertrauen. Gerade in hochkomplexen, schnelllebigen Gesellschaften brauchen Menschen Inseln der Ruhe und der Besinnung. Religion ist so etwas wie eine Unterbrechung unseres Alltags und in dieser Funktion für viele Menschen eine wichtige Hilfe.
epd: Ihre Studie "Religion in der Moderne" räumt Gegenaktionen der Kirchen gegen die Abwendung ihrer Gläubigen kaum Chancen ein. Warum?
Pollack: Für die Abwendung der meisten Menschen von der Kirche ist weniger entscheidend, dass sie mit den Kirchen unzufrieden sind, an ihr Kritik üben und die Predigten langweilig oder die Gottesdienste unschön finden. Bedeutsamer ist, dass ihnen anderes wichtiger ist als Religion oder Kirche. Wenn sie aus der Kirche austreten, dann sagen sie, sie hätten diesen Schritt vollzogen, weil sie mit dem Glauben nichts mehr anfangen können oder weil ihnen die Kirche gleichgültig geworden ist. Konkrete Kritik an politischen Stellungnahmen der Kirche oder gar am Pfarrer vor Ort haben sie weniger.
Einfluss der Kirchen nimmt ab
epd: Das heißt also, selbst der lebendigste Gottesdienst und die spannendste Predigt wird daran nichts ändern?
Pollack: Die Distanzierung von den Kirchen wird auch erfolgen, wenn die Kirchen eine gute Arbeit leisten, dialogisch auf die Menschen zugehen, offen für Veränderungen sind und an den Problemen der Gesellschaft Anteil nehmen. Sie hat vor allem mit den vielen Selbstverwirklichungsmöglichkeiten des Individuums in der Moderne, sei es in Beruf oder Freizeit, zu tun. Diese ziehen die Aufmerksamkeit von Religion und Kirche ab. Gegen diese Ablenkung von religiösen Fragen können die Kirche vergleichsweise wenig tun.
epd: Bleibt den Kirchen nichts anderes übrig, als dem Schwinden des Religiösen tatenlos zusehen? Oder sehen Sie auch eine Perspektive?
Pollack: Die Kirchen haben sich in den letzten 50 Jahren bereits gravierend geändert: Sie sind viel menschenfreundlicher und offener geworden, aber eine Umkehr des Mitgliederrückgangs haben sie nicht erreichen können. Im Grunde haben sie Vieles richtig gemacht: Sie verbinden die Konzentration auf das Evangelium mit Gesellschaftsoffenheit, die Verkündigung des Wortes Gottes mit der Berücksichtigung individueller Bedürfnisse und bleiben so mitten im Leben eine erkennbare und profilierte Institution.
Auf öffentliches Image achten
epd: Was sollten Kirchen tun? Welche Fehler sollten sie vermeiden?
Pollack: Sie müssen stets darauf achten, nicht bevormundend und autoritär aufzutreten. Immer müssen sie nah bei den Menschen sein und deren Situation im Lichte des Evangeliums deuten. Vielleicht sollten sie zukünftig noch mehr Wert auf die Arbeit mit Kindern, Jugendlichen und Familien legen.
Die Kirchgemeinden sind stark in der Kommunikation im nachbarschaftlichen, familiären und individuellen Nahbereich. Dort muss es gut laufen; dann kann das vielleicht auch in weitere Bereiche der Gesellschaft ausstrahlen. Aber sie müssen auch auf ihr öffentliches Image achten. Niemand engagiert sich gern in einer Institution, die öffentlich missachtet ist.