In Frankreich - und auch in Deutschland – wird der Kinofilm "Ziemlich beste Freunde" gefeiert. Der ehemalige MDR-Intendant, Udo Reiter, der seit einem Unfall querschnittgeläht ist, hält den Film für "Gelähmten-Kitsch". Was halten Sie von dem Film?
Ich habe ihn mir einmal angesehen und fand ihn eigentlich sehr schön. Natürlich kann man sagen, dass der Film Klischees hervorhebt. Aber er hat sie in einer sehr sympathischen Weise rübergebracht und darin sind zwei unterschiedliche Lebensweisen zusammengekommen. Die haben sich so ergänzt, dass für beide Seiten etwas positives rausgekommen ist. Und das wiederum hat mich bestätigt, dass wir mit dem Weg zur Inklusion durch die UN-Behindertenrechtskonvention, den richtigen Weg einschlagen.
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Wir müssen einfach zusammen kommen und überall Bedingungen schaffen, dass Behinderte ganz normal am Leben beteiligt sind. In dem Film war es natürlich so, dass sich der Mensch mit Behinderung das leisten konnte. Das ist nicht die Realität. Er war sehr reich, sein Assistent sehr arm. Dadurch, dass die beiden Kulturen aufeinander getroffen sind, ist dennoch etwas ganz produktives entstanden. Das finde ich schön.
Vor einigen Jahren wurde die hochgelobte deutsche TV-Produktion "Bobby" ausgestrahlt, nun ist dieser Kinofilm zu sehen - gibt es irgendwas, das in den Medien dargestellt wird, was einem normalen Leben eines Behinderten entspricht?
"Wir müssen sie nicht hervorben"
Bobby ist für mich als Down-Syndrom-Mensch wirklich authentisch und normal. Ich glaube, dass es davon sehr viele in unserer Gesellschaft gibt, die auch so leben können, die auch in einer Serie ganz spezifische Aussagen machen können und Rollen spielen. Insgesamt denke ich, dass es so einen Typus gibt. Und der ist bei uns zum Beispiel in Sportvereinen; ich kenne einen, der bei der Feuerwehr ist, der da auch anerkannt ist. Aber es sind bislang nur wenige, weil unsere Gesellschaft nicht bereit ist, Menschen mit Behinderungen normal in ihre Reihen aufzunehmen.
Was würden Sie sich wünschen, damit sie besser integriert werden und sich das dann auch in den Medien niederschlägt?
Einmal stelle ich mir vor, dass man nicht so viele Sondersendungen über behinderte Menschen bringt, sondern es sollten in Serien, in Tatorten oder in anderen Filmen, Menschen mit Behinderung so wie sie sind mitspielen und erscheinen dürfen. Sie sollen nicht besonders hervorgehoben, aber auch nicht in die Ecke geschoben werden. Also, ganz normal ihre Rolle spielen dürfen. Allerdings fehlt es dafür noch an den nötigen Rahmenbedingungen, damit dies überhaupt möglich ist.
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Noch immer ist es ja so, dass Menschen mit Behinderung in Gruppen auftreten, weil sie sich nicht allein mit einem Assistenten bewegen können, weil die Einrichtungen nicht entsprechend ausgestattet sind und das persönliche Budget nicht ausreichend ist, sodass sie sich das finanzieren können. Wenn das geschehen ist, dann wird sich auch gesellschaftlich etwas verändern. Ganz wichtig in dem Zusammenhang finde ich, dass wir bei den Kindern anfangen, und zwar mit Kleinkindern, die in Krippen ganz normal mit anderen Kindern Bildung erfahren und erzogen werden. Weil dann diese Begegnungen ganz normal werden und dann wird auch ein Film über eine Krippe anders aussehen. Dann ist es ganz normal, dass Kinder mit Behinderungen dabei sind. Wir müssen sie nicht hervorheben, sondern sie einfach dabei sein lassen.
"Man kann nur die gesellschaftliche Realität zeigen"
Muss man denn, wenn man einen Tatort dreht oder eine Serie, andere Bedingungen haben oder schaffen, wenn Menschen mit Behinderung mitspielen?
Ich glaube schon, dass man sensibler sein muss. Aber vom Grundsatz her denke ich, wenn man heute einen Tatort dreht, wird man nur die gesellschaftliche Realität zeigen können. Und die wäre: Er kommt aus einer Förderschule oder arbeitet in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderungen. Er arbeitet nicht an einem normalen Arbeitsplatz und er geht nicht auf eine normale Schule mit entsprechender Unterstützung. Das sind alltägliche Situationen und die kann man in einem Tatort auch nur zeigen. Insofern zeigen wir die Realität wie sie ist, aber nicht wie ich sie mir wünsche.
In Großbritannien gibt es nun derzeit eine Partner-Such-Sendung im privaten Fernsehen, die ähnlich wie "Bauer sucht Frau" aufgebaut ist – bei "The Undateable" suchen jedoch Menschen mit Behinderung einen Partner. Was halten Sie von diesem Sendungskonzept?
Ich halte von diesem Konzept sehr wenig, das ist aber eine ganz persönliche Einschätzung. Ich halte auch von "Bauer sucht Frau" nicht viel. Dieser Art von Sendungen sind nur auf Einschaltquoten aus. Dafür werden Personen in bestimmten Situationen gezeigt, in denen sie normalerweise nicht sind und sie kommen dadurch in Situationen, in denen der Zuschauer über sie lacht oder aber denkt, was ist denn mit dem los - warum hat er keine Beziehung? Und gerade Menschen mit Behinderung, haben doch noch mal ganz anders zu leiden, weil sie nicht normal Beziehungen knüpfen können.
Ihnen fehlt der gesellschaftliche Zugang, wie die Möglichkeit in der Diskothek oder in der Schule Freundschaften zu knüpfen, das sind alles Sondersituationen. Wenn man das irgendwo explizit herausstellt, dann kann das schnell dazu führen, dass man sie ganz in die Ecke schiebt, und die Gesellschaft sagt, na, was sind denn das für Personen. Insofern halte ich von solchen Sendungen und von solch einer Vermarktung einer Gruppe gar nichts. Dies dient nur dazu Einschaltquoten zu erreichen und Klischees noch weiter zu tragen.
"Das schafft ein anderes Bewusstsein"
Klischees werden verstärkt durch solche Sendungen, aber Sie sagen, es gibt auch eine positive Darstellung wie bei "Ziemliche beste Freunde". Gibt es Klischees, über die Sie sich immer ärgern, egal wie sie dargestellt werden?
Wenn man Menschen mit Behinderung nur als gehandicapte Personen darstellt, die bestimmte Sachen nicht können. Dann geht man nicht tief genug. Wenn man beispielsweise einen schwerstbehinderten Rollstuhlfahrer begleitet und sieht, was er an Gedanken hat und umsetzen kann, wenn er die entsprechende Hilfestellung bekommt. Darauf gehen die wenigsten Filme ein. Aber es gibt Filme in der Richtung, die auch wirklich die Sachen beschreiben. So zum Beispiel die ZDF-Dokumentation "Wärst du lieber tot?". Ein Film, der unglaublich gut beschrieben hat, wie von Geburt an schwerstbehinderte Menschen ihr Leben gestaltet haben und das können. Darüber zu berichten, das schafft in der Gesellschaft ein anderes Bewusstsein, wenn man es offen legt, so wie es ist. Davon halte ich sehr viel.
Der deutsche Film "Bobby" ist für Sie ein sehr erfolgreiches Beispiel für eine gute Umsetzung – sollte es eine Neuauflage von "Bobby" geben?
Das wäre schön. Ich fände es klasse, wenn es möglich wäre, dass mehr Menschen mit Behinderungen Hauptrollen in Filmen spielen würden. Weil sie mit Sicherheit auch etwas vermitteln könnten. Bobby ist mit Sicherheit jemand, der nicht nur Sympathieträger war, sondern der auch anhand bestimmter Situationen klar und deutlich gemacht hat, wie er ist und lebt. Und daran kann man lernen. Das gehört in Filme dazu. Da wo es angebracht ist. Denn ich halte nichts davon irgendwo künstlich Menschen mit Behinderung in Filme reinzubringen. Es muss natürlich an der Stelle reinpassen.
"Film ist immer eine Ausnahmesituation"
Was für Rückmeldungen gibt es bei Ihnen von Menschen mit Behinderungen? Wie nehmen diese die Situation auf, dass sie wenig bzw. gar nicht in den Medien dargestellt werden?
Ich muss die Frage umdrehen. Wir veranstalten häufig Treffen. Dabei zeigen wir auch Filme, zum Beispiel "Verrückt nach Paris". Die kommen sehr gut an. Die sind ja auch lustig und witzig gemacht. Sie zeigen aber auch die Tragweite vom Heimleben, wie man da nicht rauskommt und was man trotzdem machen kann, um rauszukommen. Ich glaube aber nicht, dass es zur Folge hat, dass großartig gefordert wird, wir müssen in Filmen mehr auftauchen. Das ist nicht die Zielsetzung von Menschen mit Behinderung.
###autor###
Sie wollen einfach im Alltagsgeschehen integriert sein. Sie wollen ganz normal in der Kreisliga als Fußballmannschaft mitspielen, sie wollen bei der Feuerwehr als anerkanntes Mitglied dabei sein oder aber wie in Süddeutschland - da hat eine Lebenshilfe Weinberge - als anerkannt Winzer sein. Die machen bei Weinproben mit, auf ihren Rat hören andere Winzer. Darauf kommt es eher an.
Film ist immer eine Ausnahmesituation, in der man eine Story erzählt oder Person darstellt, aber nie Alltag. Man kann zwar versuchen Alltag zu filmen, aber dann ist das was anderes. Natürlich gibt es auch bei Menschen mit Behinderung einige, die gerne im Fernsehen auftreten würden oder sich gerne fotografieren lassen, wie andere Menschen auch. Aber in der Alltagssituation anerkannt und integriert zu sein und entsprechende Bedingungen dort vorzufinden, so dass sie sich dort ganz normal wie jeder andere verhalten und bewegen können - es wird viel eher erwartet, dass dieses Ziel umgesetzt wird.