Der Alltag von jedem fünften Kind in Deutschland ist nach einer Studie im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung von Verzicht und Mangel geprägt. Rund 2,1 Millionen unter 15-Jährige lebten in Familien, deren Einkommen unter der Armutsschwelle liege, teilte die Stiftung am Sonntag in Gütersloh mit. Bei 480.000 weiteren Jungen und Mädchen liege das Einkommen nur knapp darüber. Das staatliche Unterstützungssystem könne Armut nur unzureichend auffangen.
Als armutsgefährdet gilt den Angaben zufolge, wer von weniger als 60 Prozent des durchschnittlichen Nettoeinkommens lebt. Für eine vierköpfige Familie liege diese Schwelle bei 1.848 Euro im Monat. Für die Studie hat das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) den Lebensstandard der 950.000 Kinder untersucht, die in Haushalten mit staatlicher Grundsicherung leben.
Demnach können 76 Prozent der Kinder im Grundsicherung aus finanziellen Gründen nicht einmal eine Woche Urlaub im Jahr machen. Bei Kindern in gesicherten Verhältnissen seien es hingegen nur 21 Prozent. 14 Prozent haben den Angaben zufolge kein Internet. Fast ein Drittel (31 Prozent) könne Freunde nicht wenigstens einmal im Monat zum Essen nach Hause einladen, erklärten die Forscher. Jedes fünfte Kind (20 Prozent) im Grundsicherungsbezug lebe in beengten Wohnverhältnissen. Zehn Prozent besitzen keine ausreichende Winterkleidung.
Ergänzend zu der IAB-Befragung haben Forscher der Universität Frankfurt den Angaben zufolge 27 vertiefende Interviews mit Familien in prekären Lebenslagen geführt. "Zur chronischen Geldnot kommen oftmals Krankheiten, Trennung der Eltern, beengte Wohnverhältnisse und unsichere Schulwege der Kinder hinzu", erklärte die Bertelmann-Stiftung. In der Erziehung müssten Eltern häufig Nein sagen und sparten meistens bei der Freizeitgestaltung der Familie.
Das Gefühl fehlender Selbstbestimmung führt den Angaben zufolge bei Eltern mit geringem Einkommen oftmals zu Resignation und Erschöpfung. "Eltern, die von staatlicher Grundsicherung leben, klagen über zu viele behördliche Anlaufstellen, wechselnde Ansprechpartner und bürokratische Hürden", betonten die Forscher. Sie fühlten sich nicht als Familie mit spezifischen Problemen wahrgenommen.
Die Autoren der Studie empfehlen zentrale Anlaufstellen mit festen Ansprechpartnern, die die Familien kennen. Bislang konzentriere sich die Familien- und Sozialpolitik "zu stark auf die Integration von Müttern und Vätern in den Arbeitsmarkt", erklären sie. Fachkräfte sollten mehr Entscheidungsspielräume bekommen und so Familien gezielter unterstützen können. Die Bertelsmann-Stiftung forderte außerdem das Existenzminimum der Kinder zu überprüfen und die staatliche Grundsicherung anzupassen.