Der Tod war Fred Stern beängstigend nah. Vor ein paar Jahren ging er mit Halsschmerzen zum Arzt, der dann Kehlkopfkrebs diagnostizierte. Von verstorbenen Freunden im Übergangswohnheim der diakonischen Wohnungslosenhilfe in Bremen wusste der heute 76-Jährige, was nach dem Tod meist mit Obdachlosen wie ihm passiert: Ihre Urnen werden achtlos zwischen Grabreihen verscharrt. Dann erinnert nichts mehr an ihre Existenz. In Bremen soll das künftig anders werden.
Mittlerweile hat Stern den Krebs besiegt. Und auch der Unfall, nach dem er ein Bein verlor und der sein ganzes Leben veränderte, ist lange her. 1982 wurde der damals 46-jährige gelernte Schlosser auf der Straße angefahren. Er verlor seine Arbeit, eine Umschulung lehnte das Arbeitsamt ab. "Zu alt, sagten die", erinnert sich Stern. Er blieb arbeitslos, die Familie brach auseinander. Als er dann mit 65 Rente bekam, reichte das Geld nicht einmal für die Miete. Der Mann landete auf der Straße.
Würde nach dem Tod
Seither schlägt sich Stern durch, lebt seit einigen Jahren im Übergangswohnheim, wo fast nie über den Tod gesprochen wird. Und doch sterben Obdachlose statistisch gesehen drei Jahrzehnte früher als medizinisch gut versorgte Bürger. "Ihr durchschnittliches Todesalter liegt bei 46,5 Jahren", sagt der Direktor des Instituts für Rechtsmedizin am Hamburger Universitätskrankenhaus Eppendorf, Klaus Püschel.
Am Ende reiche das Geld in der Regel nur für ein Sozialbegräbnis, kritisiert der Leiter der diakonischen Wohnungslosenhilfe in Bremen, Bertold Reetz. Zuerst kommen die Toten in die Rechtsmedizin. Dann folgen ein einfacher Sarg, eine schlichte Urne, ein Loch auf dem anonymen Friedhofsrasen. Oft erinnert weder ein Stein noch eine Tafel mit einem Namen an den Toten. Vom Erdboden verschluckt. "Keine Bleibe auf der Erde, keine sichtbare Bleibe unter der Erde", beschreibt der Bremer Obdachlosen-Seelsorger Jürgen Mann.
"Wir schaffen auf dem Friedhof Bremen-Walle einen Ort, wo dann der Name der obdachlosen Toten steht, wo Freunde und Angehörige trauern können", betont Reetz. Eine alte Grabstelle ist bereits gekauft. 10.000 Euro hat sie gekostet, mit Spenden finanziert. Der Bremer Künstler Jub Mönster wird sie gestalten. Der Platz reicht für 96 Urnen. 16 Quadratmeter, nicht am Rande, sondern mitten auf dem Friedhof. "Das bezeugt, dass obdachlose und arme Menschen ein Teil der Gesellschaft sind und verleiht ihrem Tod die Würde, die sie im Leben oft genug nicht erfahren durften", bekräftigt Reetz.
Beispiele aus Berlin, Hamburg und Frankfurt
Viele Initiativen dieser Art gibt es in Deutschland noch nicht. Vorbild für die Bremer Pläne ist das "Grab mit vielen Namen", das eine evangelische Gemeinde in Berlin-Kreuzberg eingerichtet hat. Seit kurzem erinnert auch ein "Gedenkbaum" am Berliner Bahnhof Zoo an verstorbene Obdachlose. In Hamburg hat der Rechtsmediziner Püschel zusammen mit Partnern eine Broschüre erstellt, die über Krankheit, Tod und Trauer in Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe informiert.
Kranke und sterbende Obdachlose seien Menschen, die eigentlich einer besonderen Versorgung bedürften, ist Püschel überzeugt. Stattdessen passiere das Gegenteil: Sie würden alleingelassen und vegetierten unterversorgt dahin. "Das ist unwürdig für unsere Gesellschaft." Darüber soll am 11. Mai auch auf der Bremer Kongressmesse "Tod und Leben" diskutiert werden.
Dann geht es um beispielhafte Projekte, zu denen eines in Frankfurt zählt, wo es eine diakonische "Handreichung zur Sozialbestattung" gibt. Wohnungslose werden meist auf einem besonderen Areal auf dem Parkfriedhof Heiligenstock beerdigt. Schlichte Holzkreuze erinnern dort an die Menschen. Auch für Fred Stern ist es wichtig, dass sein Name irgendwann nicht einfach verschwindet. Er wünscht sich, dass er in der Bremer Grabstelle beerdigt wird, die noch in diesem Jahr fertig sein soll. Aber bis zu seinem Tod, davon ist er fest überzeugt, ist noch viel Zeit: "Ich habe mir geschworen, dass ich 100 Jahre alt werde."