Langsam öffnet Pfarrer Sven Sabary die braune Schatzkiste, und fünf Kinderaugenpaare folgen ihm wie gebannt. Katharina greift hinein, zieht ein grünes Tuch hervor und breitet es auf den Boden. "An was erinnert euch das?", fragt Sabary. Da müssen die Kinder nicht lang überlegen: die Wiese vor dem Haus, die Blätter an den Bäumen fallen ihnen ein – und auch der Erntedankgottesdienst, den sie am vergangenen Sonntag gefeiert haben.
Philipp holt eine dicke Kerze aus der Kiste und zündet sie an. Die Kerze ist bunt wie ein Regenbogen. Ja, richtig, auch der Regenbogen kam im Gottesdienst vor, erinnert sich der Achtjährige. Er ist ein Zeichen für die Treue Gottes, erklärt Sabary. "Er will immer bei uns sein, auch wenn wir ihn nicht sehen."
Seit gut einem Jahr erst ist der 43-jährige Sven Sabary Pfarrer in Heusenstamm, einer Kleinstadt etwa 20 Kilometer östlich von Frankfurt. Zusammen mit seiner Kollegin, die zur gleichen Zeit kam, hat er aber schon einiges auf den Weg gebracht. Die wöchentliche "Tauf-AG" ist eines der neuen Angebote. "Kinder sind an Gott, Glauben und Kirche sehr interessiert – die fragen einem Löcher in den Bauch", so seine Erfahrung. In der katholischen Kirche gibt es den Kommunionunterricht, der diese kindliche Neugier stillen kann. Auf evangelischer Seite fehlt ein entsprechendes Angebot für diese Altersgruppe meist.
Also stellte Sabary seine Idee an zwei örtlichen Grundschulen vor – und heraus kam eine Kooperation: Das Angebot der Kirchengemeinde ist als Arbeitsgemeinschaft in den schulischen Unterrichtsplan integriert. Seit Beginn des Schuljahrs kommen Kinder der dritten Klassen jeweils am Montagnachmittag für 90 Minuten in den Gemeindesaal. Christel Bardenheyer-Hanusch begleitet sie von Tür zu Tür. Die 70-Jährige ist in Gemeinde und Stadt engagiert, hat Spaß an der Arbeit mit Kindern – und ist deshalb auch gern dabei bei der neuen "Tauf-AG".
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Nach dem Eröffnungsritual liest Johanna aus der Mitmach-Bibel vor, die sich ebenfalls in der Kiste verbirgt. Die Geschichte von Abraham und Sarah. Da gibt es erst mal eine Menge schwieriger Wörter, die der Pfarrer erklären muss – das "Ungewisse", in das Abraham aufbricht, die "Sippe", der er entstammt. "Geh an den Ort, den ich dir zeigen werde", hat Gott gesagt. Abraham tut’s, schlägt sein Zelt in der Wüste auf, wartet.
Gott spannt ihn ganz schön auf die Folter. Schließlich wird Sarah schwanger, Isaak wird geboren, Gott hat sein Versprechen gehalten. "Abraham hat Gott vertraut", erklärt Sabary. "Wisst ihr, was das heißt?" Ein einfaches Spiel wird es den Kindern verdeutlichen. Ein Kind bekommt einen Schal umgebunden, ein anderes führt es durch den Raum zu einem Süßigkeiten-Versteck. "Bei uns hieß das Blinde Kuh", sagt Christel Bardenheyer-Hanusch. Die Kinder sind ganz begierig, zu verstecken und zu suchen – jeder will an die Reihe kommen. "Wie habt ihr euch gefühlt unter dem Schal", will Sabary wissen. "Ich habe gar nicht gewusst wo ich bin", sagt Katharina. "Gut, dass Natascha mich geführt hat, auf die kann ich mich verlassen."
Neben dem Vertrauen geht es in der Abrahams-Geschichte noch um eine weitere wichtige Sache – den Segen. Auch hier erinnern sich die Kinder wieder an den letzten Sonntag. "Im Gottesdienst, da hast du so gemacht", sagt Lynn und breitet die Arme aus. Die Kinder haben ihr eigenes Segensritual. Sie stehen im Kreis und legen die Hände ineinander: Die linke Handfläche nach oben, die rechte nach unten – empfangen und weitergeben. Das passende Lied wird auch noch gesungen, "Komm Herr segne uns". Das Liedblatt wandert anschließend in die persönliche "Taufschachtel" – bunt beklebte und beschriftete Schuhkartons, in die jedes Kind das hineinlegt, was ihm wichtig ist.
Kontakt zur Gemeinde
"Die Kinder sollen selbst was machen", sagt Sabary. "Wir reden nicht nur – hier können Kinder ausprobieren, den Glauben auch erfahren." Das ist der zentrale Punkt in der "Tauf-AG" und ein wesentlicher Unterschied zum Religionsunterricht, den auch Alexandra Eppler sieht. "Der Schulunterricht ist oft nicht so ansprechend", sagt die Mutter von Katharina und Philipp. "Die Fragen der Kinder werden dort zu wenig berücksichtigt." Sie freut sich, wenn ihre Kinder einen Kontakt zur Kirche aufbauen – womöglich tun es ihnen die Eltern dann nach. "Wir wohnen zwar schon sechs Jahre hier, hatten mit der Gemeinde aber bisher wenig zu tun", sagt die Mutter.
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Im Laufe des Jahres will Sabary den Kindern die wichtigsten biblischen Geschichten und die wesentlichen Bestandteile des Gottesdienstes nahebringen. Auch das Gemeindeleben sollen sie kennenlernen – beim Krippenspiel oder im Kinderchor mitwirken, Gottesdienste mitgestalten. Das Projekt steckt noch in der Anfangsphase – zurzeit sind fünf Kinder regelmäßig dabei, es könnten noch mehr werden. Auch Eltern und Gemeindeglieder, die mitmachen, wünscht sich der Pfarrer – denn das Ganze ist durchaus als Teamwork gedacht.
Im nächsten Sommer gibt es einen Gottesdienst mit anschließendem Empfang. Dort können Kinder getauft werden – denn das Angebot richtet sich ausdrücklich auch an Kinder, die noch nicht getauft sind. Mit dem festlichen Abschluss der "Tauf-AG" will die Gemeinde auch jenen Eltern einen Rahmen bieten, die bisher vor der Taufe zurückgeschreckt sind. "Manche tun es nicht, weil sie die Entscheidung den Kindern selbst überlassen wollen, weil sie vielleicht alleinerziehend sind – keine "richtige" Familie – oder auch schlicht kein Geld haben für eine Feier", weiß Sabary.
Trotz des ambitionierten Programms einer gründlichen Einführung in christlichen Glauben und Gottesdienst – letztlich sollen die Kinder bestimmen, wo es langgeht. Ihre Fragen schreiben sie auf grüne Kärtchen und sammeln sie in einem Umschlag mit einem großen Fragezeichen drauf. Ehe das Treffen der "Tauf-AG" mit Vaterunser und Segen endet, wird dieser Umschlag geöffnet. Heraus purzeln Dinge, die auch die Theologen an den Universitäten beschäftigen: "Wie ist Gott auf die Idee gekommen, die Erde und den Menschen zu erschaffen?", steht auf einem Zettel. "Wie findet es Gott, wenn Geschwister streiten?", oder gleich ganz fundamental: "Gibt es Gott?"
Welches Thema soll nächste Woche drankommen? Keine leichte Entscheidung. Schließlich einigen sich die Kinder und ihr Pfarrer darauf, gleich die schwierige Frage anzupacken: Gibt es Gott überhaupt, und wo kann ich ihm im Alltag begegnen? Außerdem soll noch Zeit zum Basteln mit Kastanien bleiben, darauf legen die Kinder Wert. Lynn freut sich schon: "Ich habe über 300 Stück davon zu Hause – die bring ich dann alle mit."