"Ich wütete maßlos gegen sie"

Die Steinigung des Stephanus
Foto: akg-images
Der Diakon Stephanus gilt als der erste christliche Märtyrer (Farblithographie nach B.Hummel, 19. Jahrhundert).
"Ich wütete maßlos gegen sie"
Die Nachrichten der letzten Wochen und Monate führen es unmissverständlich vor Augen: In vielen Teilen der Welt sind Christen grausamen Verfolgungen ausgesetzt. Das Phänomen ist allerdings nicht neu. Schon Jesus soll vorausgesagt haben, dass seine Anhänger mit Verfolgungen rechnen müssen. Und Paulus, der große Missionar des frühen Christentums, war zuvor selbst ein unerbittlicher Verfolger der ersten Christen.

"Sie werden euch den Gerichten überantworten, und in den Synagogen werdet ihr gegeißelt werden, und vor Statthalter und Könige werdet ihr geführt werden um meinetwillen" (Mk 13,9), kündigte Jesus laut Markusevangelium an und sprach seinen Anhängern Mut zu. Geschrieben wurde das Evangelium um 70 n. Chr., als viele Menschen diese Erfahrungen schon gemacht hatten.

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Nachdem Jesus selbst verfolgt und hingerichtet worden war, entstanden christliche Gruppen, die zunächst als jüdische Sekten galten und toleriert wurden. Ganz selbstverständlich predigten die ersten Christen in den Synagogen und sogar im Jerusalemer Tempel. Bald eckten die wachsenden Gemeinden allerdings an. Die Apostelgeschichte berichtet, der Hohe Rat habe sich von den erfolgreich missionierenden Christusanhängern in seiner Macht bedroht gefühlt: "Der Hohepriester und alle, die mit ihm waren" seien "von Eifersucht erfüllt" (Apg 5,17) gewesen, heißt es da, und sie hätten einige Apostel festnehmen lassen. Auf den Rat des Gelehrten Gamaliel hin seien sie aber wieder freigelassen worden. Gamaliel hatte zu bedenken gegeben: Ist ihr "Vorhaben … von Menschen, so wird’s untergehen; ist es aber von Gott, so könnt ihr sie nicht vernichten" (Apg 5,38f).

Jesus selbst hatte vorgelebt, was er von seinen Anhängern forderte: "Liebt eure Feinde und bittet für die, die euch verfolgen", sagte er laut Matthäusevangelium (Mt 5,44). Er wusste aber auch, dass sich viele Menschen nur allzu leicht von ihren Überzeugungen wieder abbringen lassen und betonte: Es gibt Menschen, die die Botschaft vom Reich Gottes begeistert aufnehmen, aber sie "sind wetterwendisch; wenn sich Bedrängnis oder Verfolgung um des Wortes willen erhebt, so fallen sie sogleich ab" (Mk 4,17).

Paulus – vom Verfolger zum Verfolgten

Einer, der sich nicht einfach nach dem Wind drehte, war der Diakon Stephanus, der heute als erster christlicher Märtyrer gilt. Weil seine Missionstätigkeit einigen Juden nicht passte, zettelten sie einen Prozess wegen Gotteslästerung gegen ihn an. Stephanus hielt unerschütterlich an seinem Christusglauben fest und wurde schließlich gesteinigt.

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Aufseher bei der Steinigung des Stephanus war Paulus. Als strenggläubiger Jude und römischer Bürger wirkte er zunächst als unerbittlicher Christenverfolger. Er habe Christen gefangen nehmen lassen und ihrer Hinrichtung zugestimmt, berichtet die Apostelgeschichte. Dort erzählt Paulus weiter: "Ich wütete maßlos gegen sie, verfolgte sie auch bis in die fremden Städte" (Apg 26,11).

Erst eine himmlische Lichtvision befreite ihn von seiner Wut auf die Andersgläubigen. "Saul, Saul, was verfolgst du mich?" (Apg 9,4), hörte er Jesus fragen. Nachdem er den Schock dieser Begegnung überwunden hatte, wurde er zum überzeugten christlichen Missionar – und wurde seinerseits Opfer von Verfolgungen.

"Wer die Götter Roms nicht verehrt"

Auch den römischen Machthabern galten Christen zunächst als jüdische Splittergruppe. In Streitigkeiten unter Juden mischten sie sich nicht ein. Es herrschte eine tolerante Haltung. Den Menschen waren private Religionen gestattet, sofern sie am Staatskult teilnahmen, zu dem auch die Verehrung des Kaisers gehörte. Juden wie Christen lehnten dies ab. Einige Christen machten ihre Weigerung auch öffentlich. Das Wachstum der christlichen Gemeinden und ihre langsame Abspaltung vom Judentum ließ dann auch die Römer aufmerken. Mit ihrer Weigerung den Kaiser anzubeten und ihrer Verehrung eines vom römischen Staat Verurteilten machten sich die Christen staatszersetzender Umtriebe verdächtig.

In den folgenden Jahren, gerieten Christen immer öfter ins Visier der Römer, die die Verfolgung intensivierten, je mehr sie selbst politisch unter Druck gerieten. Einer der ersten, der Christen als Unruhestifter betrachtete, war Mitte des ersten Jahrhunderts Kaiser Claudius. Christen, die öffentlich auffielen, drohte er: "Wenn sie meinen Anordnungen nicht folgen, werde ich sie mit allen Mitteln verfolgen."

Nach dem großen Brand in Rom 64 n. Chr. bezichtigte Kaiser Nero die ungeliebten Christen als Brandstifter. Viele wurden während eines von ihm veranstalteten Spektakels grausam hingerichtet. Man ließ sie von wilden Tieren zu Tode hetzen oder verbrannte sie bei lebendigem Leib.

Zunächst wurden Verfolgungen nur lokal begrenzt betrieben. Erst Mitte des dritten Jahrhunderts unter Kaiser Decius kam es zu einer systematischen Verfolgung, die das ganze Römische Reich betraf. "Wer die Götter Roms nicht verehrt und dem allmächtigen Kaiser das Opfer verweigert, ist des Religionsfrevels und des Majestätsverbrechens schuldig", verkündete er – hartnäckigen Verweigerern drohte die Todesstrafe.

Es geht um Macht – nicht um Religion

Viele Christen beugten sich der Übermacht, es gab allerdings auch immer wieder Menschen, die sich öffentlich weigerten. Das beunruhigte die Machthaber. Kaiser Valerian verhängte schließlich ein Versammlungsverbot für Christen und ließ Bischöfe und andere einflussreiche Christen hinrichten. Aufhalten konnte aber auch er die Ausbreitung der neuen Religion nicht.

"Was verfolgst du mich?", hörte Paulus Jesus fragen – eine Antwort gab er nicht. Oft können Menschen gar nicht genau sagen, warum sie so vehement für oder gegen etwas eintreten. Die Geschichte der frühen Christenverfolgungen zeigt: Um große theologische Streitfragen ging es schon damals nur am Rande. Fremde religiöse Vorstellungen sind ein Unsicherheitsfaktor für bestehende Sinn- und Machtsysteme. Wer seine Macht bedroht sieht, versucht nicht selten, Abweichler auszuschalten. Wer sich seiner eigenen Position jedoch sicher ist, der braucht sie nicht mit Gewalt zu vertreten.