Der Tradition verpflichtet: Doku über Leipziger Thomanerchor

Der Tradition verpflichtet: Doku über Leipziger Thomanerchor
Mit einem fast zweistündigen Dokumentarfilm setzt das 800. Jubiläum des Leipziger Thomanerchors einen neuen Höhepunkt. Ein Kamerateam hat die jungen Sänger über ein Jahr lang begleitet. Diese Woche kommt der Film in die Kinos.
14.02.2012
Von Stephanie Höppner

"Alumnat", "Kantorfamulus" oder "Domestikus": Für den neunjährigen Johannes sind die althergebrachten Bezeichnungen der Thomaner für ihr Internat und die verschiedenen Funktionen innerhalb der Gemeinschaft geheimnisvolle Fremdwörter. Er ist neu bei dem weltberühmten Knabenchor aus Leipzig. Mit seiner glockenreinen Stimme hat er die Aufnahmeprüfung bei Thomaskantor Georg Christoph Biller bestanden, mit seiner Mutter an der Seite. "Man weiß nicht, was auf einen zukommt, aber man freut sich natürlich, so etwas geschafft zu haben", erzählt der Grundschüler. "Das war schon immer mein Ziel."

Gemeinsam mit Johannes - Spitzname "Fun" - begibt sich auch der Zuschauer des Dokumentarfilms "Die Thomaner. Herz und Mund und Tat und Leben" auf die Reise in eine andere Welt. Schritt für Schritt wird der Neunjährige von den älteren Schülern in das komplexe Regelsystem des Internats eingeführt. Der knapp zweistündige Film der Regisseure Paul Smaczny und Günter Atteln ist zum 800-jährigen Bestehen des Chors in diesem Jahr entstanden. Über ein Jahr lang haben die Filmemacher die Jungen begleitet. An diesem Mittwoch feiert der Film in Leipzig Weltpremiere, von Donnerstag an soll er bundesweit in die Kinos kommen.

Einer der ältesten Chöre überhaupt

Die Dokumentation gehört zu den Höhepunkten des Jubiläumsjahrs 2012 unter dem Motto "800 Jahre Thomana - glauben, singen, lernen". Mit seiner Jahrhunderte alten Geschichte ist das berühmte Knabenensemble aus etwa 100 Jungen der vierten bis zwölften Klasse einer der ältesten Chöre überhaupt. Seit 1992 hat Biller die Führung.

"Ursprünglich wollten wir sechs Thomaner filmisch begleiten, aber dann haben wir uns dafür entschieden, das Ganze doch stärker zu verdichten", erzählt Macher Smaczny. Entstanden ist ein mosaikartiges Porträt. Es nimmt mit seinen Protagonisten die wichtigsten Lebensabschnitte eines Thomaners in den Blick: den Start im Chor, die Phase nach der Dispenszeit, also dem Stimmbruch, und das Abitur. Dabei wird Alltäglichem wie gemeinsamen Mahlzeiten oder Fußballspielen genauso viel Zeit gewidmet wie den Höhepunkten im Leben eines Thomaners. "Die Kinder und Jugendlichen sind ständig in Aktion: in der Schule, beim Sport, bei der Stimmbildung, auf anderen Stuben", erzählt Atteln.

Blick hinter die Kulissen des weltberühmten Knabenchors

Die Kameras begleiten die Jungen bei großen Auftritten auf ihrer Südamerika-Tournee, bei ihrer hauseigenen Weihnachtsfeier oder bei der tränenreichen Verabschiedung der Abiturienten. Stolz auf die Tradition und auf das Geschaffte kommen in dem Film genauso zur Sprache wie auch Nachdenkliches, wenn zum Beispiel Eltern Zweifel an der frühen Abnabelung von der Familie und dem vollen Arbeitspensum äußern.

"Es ist eine ganz eigene Welt, mit einem straff organisiertem Tagesablauf, fremd klingenden Wörtern im täglichen Sprachgebrauch und einem besonderen Erziehungsmodell", schildert Atteln seine Bebachtungen. Aber es sind es auch ganz normale Jungs, die mit "ihren iPods spielen und die sich für Fußball begeistern", so der Filmemacher.

Zwischen Zweifel und Stolz: 300 Stunden Filmmaterial für die Doku

An insgesamt mehr als 50 Drehtagen trugen Smaczny und Atteln über 300 Stunden Filmmaterial zusammen. "Bei Konzerten waren wir mit mehreren Kameras vor Ort, aber an den vielen anderen Tagen haben wir zumeist mit einem kleinen Team gearbeitet, um weniger aufzufallen", erzählt Atteln. In der Zeit sei das Vertrauen zwischen ihnen und den Schülern gewachsen.

So entstand durch die enge Bindung zwischen Filmteam und Chor ein durchaus buntes Bild von der gemeinsamen Zeit. "Für mich ist das hier alles neu", erzählt zum Beispiel ein Kind im Film mit betrübtem Gesicht. "Gestern musste ich zweimal weinen. Ich hatte großes Heimweh." Ein Abiturient zieht trotz der Entbehrungen eine durchaus positive Bilanz nach neun Jahren Schulzeit: "Es ist ein wahnsinnig schönes Gefühl, hier rauszugehen und zu wissen, dass man seine Richtung gefunden hat."

epd