Die "Schreinemakerisierung" des deutschen Fernsehens

Die "Schreinemakerisierung" des deutschen Fernsehens
Vor 20 Jahren begann mit Margarethe Schreinemakers Sat.1-Wochenmagazin die "Schreinemakerisierung" des deutschen Fernsehens. Für damalige Verhältnisse war die Mischung aus Talkshow und Boulevard aufregend und neu - Kritik allerdings gab es von Anfang an.
27.01.2012
Von Martin Weber

Plötzlich war die Moderatorin weg vom Bildschirm: Es war ein Fernsehskandal erster Güte, als Sat.1 eine Ausgabe des am 29. Januar 1992 gestarteten Wochenmagazins "Schreinemakers Live" eine Viertelstunde vor dem geplanten Ende einfach abschaltete und Ulrich Meyer eine Erklärung des Senders verlesen ließ. Der Grund für die Abschaltung: Entgegen eindringlicher Warnungen war Margarethe Schreinemakers drauf und dran, in der im Sommer 1996 ausgestrahlten Livesendung Stellung in eigener Sache zu beziehen. Es ging um ihre Steueraffäre, hinter der die aufgeregte Moderatorin gar eine Racheaktion des damaligen Finanzministers Theo Waigel vermutete, dessen Ex-Frau sich in ihrer Show hatte ausweinen dürfen.

Mit der beabsichtigten Stellungnahme hatte die aufsässige Moderatorin nach Ansicht von Sat.1 den Rubikon überschritten, der Sender klinkte sich kurzerhand aus der Übertragung aus. Es war der unrühmliche Höhepunkt in der TV-Karriere von Margarethe Schreinemakers, die mit dem vor 20 Jahren gestarteten "Schreinemakers Live" einen Quotenknüller gelandet und die deutsche Fernsehlandschaft nachhaltig verändert hatte – nicht unbedingt zum Guten, wie Kritiker bemängelten, der Begriff der "Schreinemakerisierung" machte damals die Runde.

Die Moderatorin mit den schrillen Jacken wechselte nach dem Eklat zu RTL, wo sie die Sendung 1997 unter einem anderem Titel fortsetzte – und grandios scheiterte. Danach konnte die wegen ihrer Gefühlsausbrüche als Heulsuse der Nation verspottete Moderatorin nie wieder so richtig Fuß im Fernsehen fassen, so scheiterte unter anderem auch ein Neustart 2004 im Ersten.

Die Moderatorin brach auch schon mal in Tränen aus

Mit einer für damalige Verhältnisse völlig neuen Mischung aus Talkshow und Boulevardmagazin sorgte das Wochenmagazin "Schreinemakers Live" von 1992 bis 1996 für gute Quoten, zeitweise schalteten zwischen acht und zehn Millionen Zuschauer ein. Bei Margarethe Schreinemakers ließen sich Prominente wie Alain Delon, Meryl Streep oder Roger Moore befragen, durften Nichtprominente ihrem Ärger über Behördenwillkür oder Abzocke durch betrügerische Firmen Luft machen, wobei die Moderatorin stets Partei für ihre Gäste ergriff und angesichts besonders bewegender Schicksale schon mal in Tränen ausbrach.

Bei Schreinemakers durfte sich ein "Schamhaarfrisör" über seine diffizile Arbeit äußern, dem Publikum wurden Sadomasochisten, Geistheiler oder siamesische Zwillinge vorgeführt. Was heutzutage bei einem Großteil der Zuschauer allenfalls für ein Schulterzucken sorgen dürfte, war damals noch richtig aufregend – das TV-Publikum war lange noch nicht so abgebrüht wie heute.

Bei vielen Kritikern sorgte die krude Mischung aus Information und Show sowie das effekthascherische und bisweilen allzu plump auf billige Emotionen abzielende, in der Folgezeit vielfach nachgeahmte Konzept der Sendung jedoch für Unbehagen. Der Medienwissenschaftler Siegfried Weischenberg prägte gar den Begriff der Schreinemakerisierung des Fernsehens, den er wie folgt definierte: "Schreinemakerisierung vermittelt keine Fakten, sondern das Gefühl, dass die Menschen – von einer glaubwürdigen Herrin der Gezeiten – über diese Welt auf dem Laufenden gehalten werden."

Um Margarethe Schreinemakers aber ist es mittlerweile still geworden. "Was gibt es Neues? Ganz ehrlich gesagt: nichts von Bedeutung... jedenfalls, was die TV-Branche angeht", schreibt die heute 53-Jährige denn auch auf ihrer Homepage im Internet.


Martin Weber ist Medien- und Fernsehjournalist in Berlin.