Peter Frost ist ein hoch gewachsener Mann. Er ist kräftig gebaut. Seine Worte spricht er fest und klar. Die Menschen in der kleinen Friedhofskapelle in Coppenbrügge in Niedersachsen hören ihm aufmerksam zu. Er strahlt Autorität aus, auf eine freundliche Art und Weise. Peter Frost sagt: "Der Friede des Herrn sei mit euch." Der 52-jährige ist Pastor. Während er redet, ruht seine rechte Hand auf dem Lesepult. Alles wie bei einer ganz normalen Beerdigung. Aber: Peter Frost ist behindert.
Es ist der 11. September 1976. Peter Frost ist 17 Jahre alt und fährt mit seinem Moped von einer Exkursion aus dem Grünen zurück. Er hat für eine Facharbeit in der Schule Vögel beobachtet. Plötzlich rast ein Auto auf ihn zu. "Der hat mir fliegen beigebracht", sagt der Pastor heute halb belustigt und halb ernst. Der Fahrer hat 1,4 Promille im Blut. Peter Frost erleidet zahlreiche Knochenbrüche, ist mehrere Wochen lang bewusstlos. Durch eine lange Reha-Therapie lernt er wieder zu gehen. Eine halbseitige Lähmung bekämpft der ehemalige Spitzensportler mit aller Kraft. Aber eine Behinderung von über fünfzig Prozent bleibt. Der rechte Arm ist teilweise gelähmt, Peter Frost lebt bis heute mit Schmerzen.
Nach dem Unfall - Berufswunsch Pastor statt Förster
"Eigentlich wollte ich Förster werden", erzählt der Theologe heute. Aber mit einem gelähmten Arm? "Keine Chance", sagt er. Die Erfahrung des Unfalls hat Peter Frost verändert: "Vorher war ich zwar in einer evangelischen Jugendgruppe, habe aber eher gegen den Glauben gestänkert. Durch die Nahtoderfahrung habe ich gemerkt: Gott hat etwas mit mir vor." Peter Frost hat seinen Glauben neu entdeckt. Er wird nach dem Unfall sehr fromm. "Im Herzen bin ich das heute noch", sagt der Pastor. Er hat sich nie gefragt, warum Gott diesen Unfall zugelassen hat. "Diese Frage ist mir nie gekommen", sagt der Pastor. Damals sagen die Ärzte seinen Eltern, ihr Sohn würde sein Leben lang in einem Heim liegen und das nicht mehr lange. "Und sehen Sie mich an, wie ich laufen kann", sagt Peter Frost heute.
Peter Frost bei der Arbeit. Dem Pastor der hannoverschen Landeskirche ist seine körperliche Behinderung nicht anzusehen. Foto: Lena Högemann
Es ist stürmisch und kalt als die Trauergemeinde dem Pastor zum Grab folgt. Der Sarg wird herabgelassen. Peter Frost steht neben dem Grab, hebt die linke Hand und spricht den Segen. Alle Pastoren sprechen den Segen am Ende eines Gottesdienstes, das ist selbstverständlich. Aber normalerweise heben sie dazu beide Arme in die Luft. Peter Frost kann genau das nicht. Die meisten Mitglieder seiner Gemeinde wissen über seine Behinderung Bescheid. "Sie können sehr gut damit leben, solange die Predigt ordentlich ist", zeigt er sich überzeugt.
Segen mit nur einer Hand – nicht tauglich als Pastor?
So einfach war es nicht immer. Als sich der junge Mann entschließt, Theologie zu studieren, informiert er sich im Landeskirchenamt. Ein Gutachter müsse prüfen, ob er trotz Behinderung zum Pfarramt tauge. Geistig sei alles gut, lautet das Urteil. "Aber wie machen wir das mit dem Segen?", fragt der Gutachter. Peter Frost antwortet: "Zeigen Sie mir eine Stelle in der Bibel, in der steht, dass man für den Segen beide Arme hochheben muss". So überzeugt er den Gutachter und beginnt sein Theologiestudium.
Seine Behinderung und seine Erfahrungen nach dem Unfall helfen dem Seelsorger bei seiner Arbeit. "Ich verstehe die Sorgen der Menschen dadurch ganz anders", sagt Peter Frost. Wenn er als Notfallseelsorger im Einsatz ist, nimmt er die Beschwerden der Opfer deutlich wahr. Er trifft auf junge Menschen kurz nach einem Unfall und spricht ihnen aus der eigenen Erfahrung heraus Mut zu. "Das ist so ein Mittelding zwischen Therapeut und Seelsorger", beschreibt Peter Frost seine Arbeit.
Geburtstagsbesuch bei einer 92-Jährigen – "Gott ist bei Ihnen"
Als Pastor besucht er oft auch ältere Menschen, etwa zum Geburtstag. Heute gratuliert er einer 92-Jährigen. Sie ist sehr traurig, weil sie nicht in die Kirche gehen kann. "Das schaffen meine Beine nicht mehr", klagt sie dem Seelsorger ihr Leid. "Sie sind nicht alleine, Gott ist bei ihnen", antwortet Peter Frost freundlich und setzt sich in den Wohnzimmersessel. Hinter ihm hängen Spitzengardinen im Fenster, im Wandschrank stehen Familienfotos.
Der Pastor bietet der 92-Jährigen an, sie zum Gottesdienst zu fahren. "Da sprechen wir noch einmal drüber", sagt sie und lächelt. Die Frau weiß nichts von Peter Frosts Behinderung. Für sie gehört er zu den "jungen Leuten". "Sie können so viel machen", sagt sie. Zum Abschied sprechen die beiden ein kurzes Gebet. Die alte Dame ist zu Tränen gerührt. Auf der Rückfahrt sagt der Pastor: "Ist es nicht schön, einem Menschen solch eine Freude zu machen?"
Als Behindertenbeauftragter im Einsatz - ehrenamtlich
"Das größte Problem ist, dass man mir meine Behinderung nicht ansieht", sagt Peter Frost. Zwei Mal in der Woche muss er zur Krankengymnastik, ein Mal zum Schwimmen. Sonst versteift der Rücken. In früheren Gemeinden hat er erlebt, dass Menschen das nicht akzeptieren. "Gerade in der Kirchenleitung gab es teilweise wenig Verständnis", berichtet der Pastor. Dagegen geht er vor. Peter Frost arbeitet ehrenamtlich als Behindertenbeauftragter der hannoverschen Landeskirche und berät viele Pastorinnen und Pastoren mit Behinderung. Dass es diesen Posten überhaupt gibt, ist sein Verdienst. "Ich habe damals bei der Synode den Antrag gestellt, ein Amt des Behindertenbeauftragen zu schaffen", erzählt der Pastor stolz.
"Behinderung heißt mehr als Rollstuhl, das versuchen wir zu vermitteln", sagt er. Der Behindertenbeauftragte berät Kolleginnen und Kollegen, die an Diabetes leiden, an Krebs erkrankt sind oder plötzlich nachtblind sind. All diese Menschen wollen mit ihrer Behinderung im Pfarramt arbeiten. Und Peter Frost will ihnen helfen. "Liebe deinen Nächsten, das ist mein Leitspruch", sagt er.
Lena Högemann arbeitet als freie Journalistin in Hannover.