Dankbarkeit: Glücksformel oder lästige Pflicht?

Dankbarkeit: Glücksformel oder lästige Pflicht?
Wer dankbar ist, lebt glücklicher und gesünder. Das behauptet der US-amerikanische Psychologe Robert A. Emmons. Die Theologin Magdalene L. Frettlöh meint allerdings, dass es belastend sei, zur Dankbarkeit verpflichtet zu werden. Über den Umgang mit dem schwierigen Gefühl der Dankbarkeit.
30.09.2011
Von Gabriela Reff

Das Erntedankfest ist das einzige Fest, das die Dankbarkeit gegenüber Gott und die Freude über die Gaben des Lebens in den Mittelpunkt stellt. Der Dank ist auch Teil vieler Gebete. Im Alltag wird Dankbarkeit jedoch oft als lästige Pflicht oder als selten hinterfragte Floskel erlebt: Vielen Dank auch.

"Königsweg zu dauerhaftem Glück"

Dabei sei die Fähigkeit zur Dankbarkeit eine wichtige Kraftquelle, meint der US-amerikanische Professor Robert A. Emmons. Der Vertreter der sogenannten positiven Psychologie ist überzeugt: "Dankbarkeit macht uns nachhaltig zu glücklicheren und gesünderen Menschen". Sie sei ein "Königsweg zu dauerhaftem Glück".

Deshalb müsse die Fähigkeit zu danken nicht nur gepflegt, sondern aktiv eingeübt werden. Denn die tief verwurzelte Neigung vieler Menschen, das Leben als selbstverständlich zu betrachten, stehe einer dankbaren Haltung entgegen.

In seinem Buch "Vom Glück, dankbar zu sein" empfiehlt Emmons unter anderem, ein Dankbarkeitstagebuch zu führen: Jeden Tag solle man überlegen, wofür man dankbar sein könne. So könne Dankbarkeit zu einem Lebensmotto werden, das dauerhaft trage, schreibt Emmons.

Doch Emmons ist mit seinen Forschungen eine Ausnahme. Ansonsten scheint sich die Psychologie nur wenig für das Gefühl der Dankbarkeit zu interessieren. Die deutschsprachige Forschungsliteratur ist spärlich und selbst dem renommierten Frankfurter Sigmund-Freud-Institut ist keine Auskunft über den speziellen psychoanalytischen Blick auf die Dankbarkeit zu entlocken.

Ambivalentes Glücksgefühl

Die Frage, was es so schwer macht, das Gefühl der Dankbarkeit aufrechtzuerhalten, treibt allerdings den Göttinger Psychiater und Psychoanalytiker Jochen Haustein um. Zwar gehe Dankbarkeit tatsächlich mit einem Glücksgefühl einher, sei jedoch auch zutiefst ambivalent, sagt Haustein.

Das lasse sich auch am Erntedankfest erkennen: Zum einen werde mit ihm der Freude über die reiche Ernte Ausdruck verliehen. Das Einholen der Ernte bedeute aber auch einen Abschied vom Sommer und Vorbereitung auf den Winter. "In den Dank mischt sich daher auch Trauer und Bedauern darüber, dass etwas zu Ende geht".

Dankbarkeit könne manchmal auch zu einem Fallstrick werden, urteilt Haustein, der auch stellvertretender Vorsitzender der Deutschen Psychoanalytischen Gesellschaft ist. Wenn etwa Eltern von ihren Kindern Dank für das einforderten, was doch eigentlich selbstverständlich sei, und damit die Entwicklung und Loslösung ihrer Kinder erschwerten.

"Der Dank wird immer an Gott gerichtet"

"Zur Dankbarkeit verpflichtet, Dank schuldig zu sein, das belastet und kann Menschen gnadenlos aneinanderketten", sagt auch die Theologin Magdalene L. Frettlöh. Wer eine Wohltat annehme, fühle sich schnell bedürftig und abhängig. Es entstehe ein Gefälle zwischen Gebendem und Nehmendem, das mit Dank wieder ausgeglichen werden solle. Man danke, um sich nichts schuldig bleiben zu müssen.

Einen Ausweg aus dem Dilemma hat die Professorin für Systematische Theologie an der Universität Bern in der Bibel gefunden. Es habe sie erstaunt, festzustellen, dass es in der Bibel keine einzige Aufforderung zur Dankbarkeit gegenüber den Mitmenschen gebe, sagt Frettlöh. Die biblischen Texte hielten sich "mit einem Geniestreich" alle Probleme der zwischenmenschlichen Dankbarkeit vom Hals: "Der Dank wird immer an Gott gerichtet."

Dies brachte die Theologin auf die Idee eines "Moratoriums der Dankbarkeit". Warum, fragt Frettlöh, "begnügen wir uns für einige Zeit nicht mit dem 'Gott sei Dank'"? Dies bedeute auch: aushalten, anderen Menschen etwas schuldig zu sein, ein Ungleichgewicht ertragen und sich von der Idee völliger Unabhängigkeit verabschieden.

"Den Dank an Gott zu richten, heißt anzuerkennen, dass wir einander nichts geben können, was wir nicht zuvor selbst empfangen haben", sagt sie. Und macht im Kirchenjahr einen Sprung in die Fastenzeit: An die Adresse der Fastenaktion der evangelischen Kirchen gerichtet schlägt Frettlöh als Motto vor "Sieben Wochen ohne Dank."

Literaturtipp:

Robert Emmons, Vom Glück, dankbar zu sein. Campus Verlag 2008, 235 Seiten, 19,90 Euro

epd