Wenige Tage vor der Visite wies Kardinal Koch im epd-Gespräch auf die symbolhafte Funktion des Besuchs im Erfurter Augustinerkloster hin, in dem der Reformator Martin Luther (1483-1646) wirkte, sowie auf den ökumenischen Gottesdienst. Koch äußerte sich zugleich besorgt, dass sich Erwartungen an Kompromissbereitschaft bei der Ökumene nur an die katholische, nicht jedoch an die evangelische Seite richteten.
Welche Chancen sehen Sie für Fortschritte im Dialog zwischen der katholischen und der protestantischen Seite bei der Papstreise nach Deutschland, nachdem es auch bei den bisherigen Visiten ökumenische Begegnungen gab?
Kardinal Kurt Koch: Dieses Mal hat die Reise einen besonderen Akzent, weil der Heilige Vater auch nach Erfurt geht, wo Luther als Augustinermönch gelebt hat, wo er den Repräsentanten des Rates der Evangelische Kirche In Deutschland begegnen und auch einen ökumenischen Gottesdienst feiern wird. Ich denke, das macht die Ökumene zunächst einmal sehr sichtbar. Ich hoffe auch, dass es zu einer geistlichen Vertiefung der ökumenischen Bewegung kommt.
Es gibt Hoffnungen auf konkrete Fortschritte, die die Beteiligten zu dämpfen versuchen, da die Ökumene nach 40 Jahren im Rahmen eines Papstbesuchs nicht neu erfunden werden kann. Was ist an konkreten Schritten zu erwarten?
Koch: Ökumene steht und fällt mit dem Dialog. Das heißt, dass immer zwei Seiten involviert sind. Deshalb halte ich es für nicht ganz fair, wenn man jetzt einseitig vom Papst Schritte erwartet. Ich denke, beide Seiten haben noch eine gehörige Bringschuld.
"Wie sehen die evangelischen Christen heute
die Reformation im Kontext von 2.000 Jahren Kirchengeschichte?"
Wo sehen Sie momentan Möglichkeiten einer Annäherung zwischen Katholiken undProtestanten?
Koch: Vor allem im Blick auf das Gedenken der Reformation im Jahr 2017 wäre eine Frage, die ich gern beantwortet haben würde, wie die evangelischen Christen heute die Reformation im Kontext von 2.000 Jahren Kirchengeschichte sehen, von denen wir ja 1.500 Jahre gemeinsam haben. Ist die Reformation einfach ein Bruch und ein totaler Neubeginn, oder steht sie in einer gewissen Kontinuität auch mit der ganzen Tradition der Kirche? Von dieser Antwort hängt viel ab, in welche Richtung die Ökumene weitergehen kann.
Wie verhält sich der Vatikan zum Reformationsjubiläum?
Koch: Wir reden immer von einem Gedenken, wir reden nicht von einer Feier und nicht von einem Jubiläum, weil die Reformation zwei Seiten hat. Auf der einen Seite hat sie sicher viele positive Seiten. Martin Luther hat die ganze Kirche wieder an den zentralen Stellenwert des Wortes Gottes erinnert. Auf der anderen Seite hat natürlich die Reformation auch eine Tragik. Sie hat zur Kirchenspaltung geführt mit gravierenden Konsequenzen in der europäischen Geschichte. Wir können dieses Gedenken nur begehen, wenn wir beide Seiten zusammen bedenken.
Wie steht es um den Dialog mit den Orthodoxen? Aus protestantischer Sicht scheint er dem Vatikan wichtiger als derjenige mit den evangelischen Kirchen.
Koch: Der Schein trügt, weil der grundlegende Unterschied der Ökumene mit den Orthodoxen und den aus der Reformation hervorgegangenen Kirchen darin besteht, dass wir mit den Orthodoxen ein ganz großes Fundament gemeinsamen Glaubens haben, aber eine ganz verschiedene Kultur. Hingegen teilen wir mit den aus der Reformation hervorgegangenen Kirchen nicht ein so breites Fundament des gemeinsamen Glaubens, aber haben dieselbe Kultur. Von daher kann der Eindruck entstehen, der Heilige Vater würde einseitig den Weg mit den Orthodoxen gehen.
Ich bin aber überzeugt, dass ihm die Ökumene mit den aus der Reformation hervorgegangenen Kirchen genauso am Herzen liegt. Das zeigt seine ganze Biografie. Als Professor und als Kardinal hat er sich sehr intensiv mit dieser Ökumene beschäftigt. Mir persönlich hat er die Wahl meiner Person auch damit begründet, dass ich die aus der Reformation hervorgegangenen Kirchen nicht nur aus den Büchern, sondern auch aus der Erfahrung kenne. Das war ein ganz deutliches Zeichen, dass ihm dieser Dialog am Herzen liegt.
Im Dialog mit den Anglikanern hat das Angebot des Papstes, eigene Ordinariate für diejenigen unter ihnen zu gründen, die der katholischen Kirche beitreten möchten, ohne ihre Traditionen aufzugeben, für viel Wirbel gesorgt. Ist mittlerweile Normalität eingetreten?
Koch: Auf der einen Seite ist das nicht eine Initiative des Papstes, sondern eine Antwort auf eine Anfrage der Anglikaner gewesen. Wenn in deutschen Landen gesagt worden ist, der Papst fische in trüben Wassern, ist das einfach eine Verleumdung des Verhaltens des Papstes. Um im Bild zu bleiben, verhält es sich vielmehr so, dass der Papst Fische, die schon längst nicht mehr im Wasser waren, sondern auf dem Land lagen, in ein neues Wasser führen wollte. Der Papst hat eigentlich keine andere Möglichkeit, als die Türe zu öffnen, wenn angeklopft wird. Dass das auf der anderen Seite in der anglikanischen Gemeinschaft nicht nur Freude auslöst, ist verständlich. Aber wir haben hier beim Heiligen Stuhl die klare Regelung, dass die Frage der Ordinariate bei der Glaubenskongregation liegt und wir im Päpstlichen Rat den Dialog mit den Anglikanern weiterführen.