Natürlich kann man sich darüber empören, dass Google Internetnutzern vorschreibt, mit welchem Namen sie sich in der Netzöffentlichkeit von Google+ bewegen dürfen. Als Eintrittskarte zählt eine Registrierung mit dem eigenen Vor- und Zunamen und kein frei erfundenes Pseudonym. Dabei sind Fantasienamen fester Bestandteil der Internet-Kultur, sagen die Kritiker. Sicherlich drückt sich kein Mensch gerne an einem bulligen Türsteher vorbei, der letztendlich entscheidet, ob die eigene Nase gefällt oder nicht. Anders sieht die Welt aber schon aus, wenn man selbst zu einer Party im eigenen Haus Freunde, Bekannte, Nachbarn und deren Partner einlädt. Da kommt in der Regel keiner rein, den man nicht kennt oder der sich nicht mindestens persönlich mit seinem Namen vorgestellt hat.
Google+ ist ein Wirtschaftsunternehmen und hat damit auch das Hausrecht zu entscheiden, welche Spielregeln in seinem sozialen Netzwerk gültig sind. Damit sind die Würfel erst einmal gefallen. Dass mit jedem gültigen Nutzernamen Geld in die Unternehmenskasse gespült werden soll, ist kein Geheimnis, sondern ein gängiges Online-Geschäftsmodell, um das viele kleinere Online-Unternehmen die großen Flaggschiffe wie Facebook & Co beneiden.
Stellt sich die Frage, warum jemand anonym agieren möchte? Schließlich kann man auch bei Google+ selbst bestimmen, wer welche Informationen überhaupt lesen darf. Als Freiheitskämpfer in einem totalitären Staat wie Libyen ist es sicher lebensnotwendig und ratsam zugleich seine abweichende Meinung gegen das repressive Regime gesichtslos und unter einem anderen Namen öffentlich kundzutun, um sich und seine Familie vor Verfolgung und Bestrafung zu schützen. Auf der sicheren Seite ist man bei der Online-Kommunikation trotzdem nicht, weil sich Internetverbindungen, so wie Telefongespräche, technisch rückverfolgen lassen. Aber muss das Argument der politischen Verfolgung wirklich auch in Deutschland als Begründung für die Empörung derer herhalten, die nicht mit ihren Fantasienamen in der Netzöffentlichkeit bei Google+ (auf)treten dürfen?
Die Anonymität im Internet spült viel Hässliches hoch
Es ist eine sozialpsychologische Binsenweisheit, dass für den Zusammenhalt einer Gesellschaft wichtig ist, dass Menschen sich in einem bestimmten Zeitfenster unverkrampft, locker, anonym und geschützt über die Regierenden lustig machen dürfen. So kann der Einzelne überschüssigen Dampf ablassen, der sich über die Zeit angestaut hat. Diese Reinigung findet dann aber nicht bei Google+ statt, sondern beispielsweise draußen vor dem Haus auf der Straße auf den Rosenmontagsumzügen während der Fastnacht in Köln, Mainz oder am Bodensee.
Durch die Anonymität im Internet wird auch viel Hässliches hochgespült. Natürlich ist es auch in der Offline-Welt leichter, hinterrücks unter Arbeitskollegen über den eigenen Chef zu lästern. Schwerer hingegen ist es, die Kritik ihm persönlich ins Gesicht zu sagen, weil man Angst vor den Konsequenzen haben muss. Blicken sich Menschen während einer Unterhaltung in die Augen, gehen sie meist besser aufeinander ein und suchen nach einer gemeinsamen Lösung. Unter vollem Namen werden auch in Zeitungen Leserbriefe abgedruckt. Das Grundgesetz garantiert uns, dass jeder seine Meinung frei äußern darf. Das ist ein Privileg, um das uns Menschen in totalitären Staaten beneiden.
Im sozialen Netzwerk steht das Zusammentreffen im Vordergrund
Das Verhältnis zwischen Privatheit und Öffentlichkeit ist im Umbruch, sicher auch wegen Facebook. Dort sind die meisten Nutzer mit ihrem echten Namen unterwegs und veröffentlichen ein aktuelleres Profilbild, als das der Personalausweis in der Hosentasche zeigt.
Bei kriminellen Handlungen, etwa wenn Sextäter sich anonym im Chat an Kinder ranmachen oder Verbrechen im Cyberspace organisiert werden, wird der Ruf nach Transparenz in der Öffentlichkeit zu Recht schnell laut. Darum geht es bei der aktuellen Diskussion um Google+ aber nicht. Es geht auch nicht vorrangig um Anprangerung. Keiner lässt sich gerne von anderen bespucken und beschimpfen. Eine begründete Meinung, die man eigentlich offen sollte vertreten können, aber nur im Schutz der Anonymität zu publizieren, kann nicht die Lösung sein.
Ein Kompromiss könnte sein, dass man sich mit seinem richtigen Namen bei Google+ registriert und allein in der Netzöffentlichkeit mit einem Fantasienamen auftritt. Im sozialen Netzwerk steht der Austausch von Informationen im Vordergrund, das Zusammentreffen. Manche wollen sich gleich ganz neu erfinden. Nur zu. Dabei verrät man im Internet besser sowieso nur Informationen über sich, die man auch einem anderen Menschen direkt ins Gesicht sagen würde. Betritt man einen Raum, egal ob im Cyberspace oder in der Offline-Welt, erfordert die (N)etikette, dass man sich vorstellt. Das mag man altmodisch finden. Höflich ist es allemal.
Markus Bechtold ist Redakteur bei evangelisch.de.