Ältere Deutsche kennen noch die Hungerwinter im Zweiten Weltkrieg und den Jahren danach. Das Wort Hunger hat indogermanische Wurzeln, ist schon im Althochdeutschen ("hungar") nachgewiesen und hat die ursprüngliche Bedeutung "Brennen, brennendes Verlangen". Das UN-Welternährungsprogramm geht davon aus, dass ein Erwachsener im Durchschnitt 2.100 Kilokalorien pro Tag braucht. Das entspricht dem Nährwert von ungefähr sieben Cheeseburgern oder einem Kilogramm Schokoladenpudding. Die Menge schwankt jedoch mit Alter, Geschlecht und Tätigkeit. Wer körperlich schwer arbeitet, braucht mehr Energie.
Erst das Fett, dann die Muskulatur
Wenn ein Mensch über längere Zeit hungert, löst der Körper zuerst das eingelagerte Fett auf. Ist das aufgebraucht, geht es an die Muskulatur. Solange es geht, versucht der Körper, eine minimale Energieversorgung aufrecht zu erhalten, damit die lebenswichtigen Organe wie Herz, Niere, Leber und Lunge weiterarbeiten können. Gelingt das nicht mehr, droht der Tod. Die Vereinten Nationen gehen von einer Hungersnot in einem Gebiet aus, wenn mehr als 30 Prozent der Bevölkerung unterernährt ist und von 10.000 Menschen pro Tag zwei Erwachsene oder vier Kinder an Hunger sterben.
Verglichen mit Erwachsenen benötigen Kinder im Verhältnis mehr Energie. Bei chronischer Unterernährung wachsen sie weniger als Jungen und Mädchen, die ausreichend essen. Außerdem verlangsamt sich ihre geistige Entwicklung. Manche Kinder tragen bleibende Schäden davon. Schwer unterernährte Jungen und Mädchen brauchen spezielle Aufbaunahrung, bevor sie wieder normal essen können. Ein großes Problem ist auch das Fehlen von beispielsweise Vitaminen, Mineralien und Proteinen im Essen. Dann spricht man von Mangelernährung. Vitamin-A-Mangel kann zu Blindheit führen, Eisenmangel zu Blutarmut.
Wer unterernährt ist, ist anfälliger für Krankheiten und wird in seiner Leistungsfähigkeit eingeschränkt. Nach Angaben der Vereinten Nationen hungern weltweit mehr als 900 Millionen Menschen. In Ostafrika wurde der Hunger jetzt zur Katastrophe. Akut bedroht sind rund elf Millionen Menschen. Die Krise begann schleichend und zunächst unbemerkt von der Weltöffentlichkeit. Viele Menschen in Somalia haben seit langem nicht mehr genug zu essen.
"Wenn es Dir aus dem Halse herausstinkt ..."
Wer über längere Zeit hinweg nicht ausreichend ernährt wird, stirbt nicht zwangläufig, erleidet aber schwere körperliche und seelische Schädigungen. Der katholische Kaplan Johannes Prassek (Foto: epd-bild), der 1942 in Lübeck von den Nationalsozialisten inhaftiert und später hingerichtet wurde, hat das Mangelgefühl und seine Konsequenzen in einem Brief aus der Haft eindrücklich beschrieben:
"Weißt Du, was Hunger ist? Wenn der Magen knurrt und man hat dieses unangenehme Hungergefühl, das ist noch kein Hunger! Aber wenn es Dir aus dem Halse herausstinkt vor Leere und vor verdorbenen Speiseresten etc. in der Speiseröhre oder wer weiß wo, wenn im Munde zwischen den Zähnen – trotz des Putzens – so ein fieser Geschmack des Mangels sich bemerkbar macht, wenn das Zahnfleisch sich löst und schon bei einer leichten Berührung mit der saugenden Zunge das Blut herausquillt, wenn trotz aller Kleidung, trotz sommerlicher Hitze Dein Körper nicht warm wird, sondern die Finger bis zur Handfläche hin und die Zehen an den Füßen blutleer und abgestorben sind, wenn Du bis an die Ellenbogen kalte Arme und bis an die Knie kalte Beine hast, wenn überall am Körper es an kleinen Stellen wie mit Nadeln vor Kälteschauern sticht, die ganze Nacht über legst Du Dich von einer schmerzenden Seite auf die andere, weil Du nicht warm wirst und auch darum nicht schlafen kannst.
Und dann dieses grausige dumpfe Gefühl im Kopf, wie wenn einer von allen Seiten mit Zentnerlast dagegendrückt, wenn Du aufstehst, musst Du Dich erst festhalten, damit Du vor Schwindel nicht umfällst, dann dreht sich erst einmal alles, es wird Dir schwarz vor den Augen, bis sich das Blut gesetzt hat. Was es zu essen gibt, frisst Du weg: Pellkartoffeln mit Pelle natürlich, damit keine Stärke verloren geht, altes, schimmeliges Brot holt man sich aus dem Abfalleimer, und die kalten Pellkartoffeln, die beim Fressnapf des Hundes im Sande liegen, werden wie Kostbarkeiten gesammelt, an der 'sauberen' Hose abgewischt und verschlungen. Das abgegessene Gehäuse eines Apfels, wenn auch schon etwas faulig, wird trotzdem nicht verschmäht, wegen eines Stückchens Brot könnte ich jemanden umbringen. Furchtbar ist dazu die schreckliche Unzufriedenheit mit sich selber, den Mitmenschen und schließlich auch mit Gott. Es ist einfach physisch unmöglich, anders zu sein als unzufrieden. – Das ist Hunger; und das ist hier seit Monaten mein Begleiter gewesen."