Das Grauen hat in diesen Tagen einen Namen: Ostafrika. Menschen, die sich oft vor Hunger kaum auf den Beinen halten können, laufen tage- und wochenlang durch ausgedörrte Einöden, um irgendwo eine Mahlzeit und Wasser zu bekommen - und vor allem, um Hilfe für ihre leidenden Kinder zu finden. "Es bricht einem wirklich das Herz, diese Kinder und ihre Familien zu sehen", sagte Christopher Tidey, "Emergency Communication Specialist" vom Kinderhilfswerk Unicef, am Freitag der Nachrichtenagentur dpa.
"Wenn sie in den Camps ankommen, sind sie oft schon dem Tode nah, nachdem sie viele Meilen unter der sengenden Sonne unterwegs waren, ohne Essen und Wasser", erklärte er. Ihre Rippen stechen deutlich heraus, die Beine sind zu schwach, um noch einen Schritt weiterzugehen, und die mit Fliegen übersäten Augen wirken leer. Tidey befindet sich derzeit in Dadaab in Kenia, dem mit fast 400.000 Menschen mittlerweile größten Flüchtlingslager der Welt.
"Einfach mal wieder Kinder sein"
Zusammen mit seinen Kollegen versucht er, den Kleinsten der Kleinen ein bisschen Lebensmut wiederzugeben. In acht eigens eingerichteten Zelten und Gebäuden leisten die Mitarbeiter von Unicef und anderen Organisationen wie Save the Children psychosoziale Soforthilfe. Will heißen: Die Kinder finden hier einen sicheren Raum, in dem sie frei von Angst spielen und malen können. "Hier können sie einfach mal wieder Kinder sein", sagt Tidey.
Aus seiner Erfahrung weiß er, dass die Kleinen vor allem Zeichnungen und Bilder dazu nutzen, die traumatischen Erfahrungen, die Angstzustände und den Stress zu verarbeiten. "Es ist wichtig, dass sie sich ausdrücken können, denn viele haben Familienmitglieder sterben sehen. Wir müssen sie in ihrem Heilungsprozess unterstützen", betont Tidey. Die Spielsachen werden von Unicef in speziellen "Freizeit-Kits" bereitgestellt.
Zu der psychischen Belastung kommen die physischen Leiden. Die UN schätzt, dass derzeit in der Region rund zwei Millionen Kinder unter fünf Jahren schwer unterernährt sind, von denen 500.000 akut vom Tod bedroht sind. "Unterernährung wirkt sich auf die gesamte Entwicklung aus und kann langfristige Folgen haben, die bis ins Erwachsenenalter zu spüren sind." Zudem steige durch die Mangelernährung das Risiko, sich mit anderen Krankheiten wie Masern, Lungenentzündung und Durchfall zu infizieren.
Neue Schulen und neue Lehrer für Dadaab
"Unicef nutzt alle der Organisation zur Verfügung stehenden Mittel, um jedes Kind zu erreichen", sagte der Unicef-Regionaldirektor für das östliche und südliche Afrika, Elhadj As Sy, am Freitag. "Jedes Leben zählt, und wir können es uns nicht leisten, in dieser Krise noch mehr Menschen zu verlieren." Aber es sei auch wichtig, Kindern ein Stück "Normalität" wiederzugeben, selbst wenn sie in einem Flüchtlingscamp lebten. "Wir planen, in Dadaab neue Schulen zu bauen und Lehrer auszubilden", sagt Tidey. Von den 10 000 Flüchtlingen, die jede Woche aus dem Bürgerkriegsland Somalia nach Nordkenia strömten, seien fast zwei Drittel Kinder.
"Ich habe noch nie eine solch gravierende Unterernährung gesehen, wie derzeit hier in Dadaab", betont Tidey. "Es gibt keine Worte, um zu beschreiben, was diese Menschen durchlebt haben." Das einzige Wort, das beim Betrachten der erschütternden Bilder in den Sinn kommt, ist "Grauen". Ein Grauen, das viele im Computerzeitalter des 21. Jahrhunderts nicht mehr für möglich gehalten hatten.