Mehr als 100.000 Menschen haben nach Angaben der Veranstalter an Ostern in ganz Deutschland gegen Militäreinsätze und Atomkraft demonstriert. Die traditionellen Ostermärsche für Frieden und Abrüstung waren 25 Jahre nach Tschernobyl auch von der aktuellen Diskussion um die Kernenergie angesichts der Atomkatastrophe in Japan geprägt. Deutsche Bischöfe begrüßten in ihren Osterpredigten einen Ausstieg aus der Atomenergie und mahnten Hilfen für die Konfliktregionen in Nordafrika an.
Allein am Kernkraftwerk Grohnde in Niedersachsen wurden am Sonntag 10.000 Demonstranten erwartet. Auch zum AKW Unterweser im Norden des Bundeslandes waren zahlreiche Menschen unterwegs. Im südhessischen Biblis demonstrierten mehrere tausend Menschen für die Abschaltung von Atomkraftwerken. In Unterfranken versammelten sich ebenfalls mehrere tausend Menschen zu einem Sternmarsch zum Atomkraftwerk Grafenrheinfeld. Tausende demonstrieren auch auf den Rheinbrücken zwischen Baden-Württemberg und Frankreich.
"Sargnagel für die Atomkraft"
Ebenfalls mehrere tausend Menschen demonstrierten an den drei bayerischen Atomkraftwerken gegen die Kernenergie. In der Nähe der unterfränkischen Ortschaft Bergrheinfeld (Kreis Schweinfurt) versammelten sich auf der gegenüberliegenden Mainseite des Atomkraftwerkes Grafenrheinfeld nach Polizei-Angaben bis zum Mittag mehr als 15.000 Menschen.
Der Ostermontag 2011 solle der "Sargnagel für die Atomkraft in Deutschland" sein, sagte Martin Heilig vom unterfränkischen Aktionsbündnis "Tschernobyl mahnt". "Wir sind viele, wir werden immer mehr und wir werden keine Ruhe geben, bis das letzte AKW abgeschaltet ist", fügte er hinzu.
Im schwäbischen Günzburg nahmen am Ostermontag laut Veranstalter deutlich mehr als 5.000 Menschen an den Protesten gegen das benachbarte Atomkraftwerk Gundremmingen teil. In Niederaichbach (Kreis Landshut) wollen sich die Atomkraftgegner am Abend zu den Atommeilern Isar 1 und 2 ziehen.
Aktionen der Friedensbewegung in 100 Städten
Die 80 Ostermärsche, die von Freitag bis Montag stattfanden, führten durch insgesamt 100 Städte. Verglichen mit dem vergangenen Jahr hatten die meisten Ostermärsche nach Angaben der Organisatoren größeren Zulauf. Die Proteste richteten sich gegen den Einsatz der Nato-Truppen in Afghanistan, das militärische Eingreifen in Libyen sowie gegen die weltweiten Rüstungsexporte. Die Teilnehmer forderten statt militärischer Lösungen humanitäre Hilfe und die Aufnahme von Kriegsflüchtlingen.
Am Samstag waren in Berlin nach Veranstalterangaben rund 4000 Menschen auf die Straße gegangen. Die Polizei sprach von rund 1500 Teilnehmern. Durch die Hamburger Innenstadt zogen unter dem Motto "Bundeswehr raus aus Afghanistan! Atomwaffen abschaffen, Atomkraftwerke abschalten" laut Polizei rund 750 Demonstranten. In München waren es nach Veranstalterangaben etwa 900 Menschen, nach Polizeiangaben etwa 450 Teilnehmern.
Ostermärsche gibt es in Westdeutschland seit 50 Jahren. Sie entstanden 1960 nach britischem Vorbild und etablierten sich als politische Protestaktion der Friedensbewegung gegen Atomwaffen. Ihren Höhepunkt hatten die Ostermärsche in den frühen 80er Jahren, als mehrere hunderttausend Menschen für den Frieden demonstrierten. Mit dem Ende des Kalten Krieges und dem Zerfall des Ostblocks hat das Interesse nachgelassen.
Kirche in Hamburg gegen AKW Brunsbüttel
Hamburgs Bischofsvertreter Jürgen Bollmann hat den Anti-Atom-Protesten einen langen Atem prophezeit. "Aber diesen langen Atem haben wir auch", sagte der evangelische Theologe am Ostermontag auf der Kundgebung vor den Toren des stillgelegten AKW Brunsbüttel in Schleswig-Holstein. "Wir werden nicht eher ruhen, bis unsere Energieversorgung so umgestellt ist, wie es die kirchlichen Synoden seit 25 Jahren fordern: sauber von Atomtechnologie und das Klima schonend."
Bollmann wies den Vorwurf zurück, dass Atomkraftgegner künstlich Angst schüren würden. Vielmehr gehe es darum, "die greifbare Angst" an sich selbst und anderen überhaupt wahrzunehmen, wie etwa in Japan.
Das "Geschenk des Lebens" sollte zum Lobe des Schöpfers eingesetzt werden. Im Jahr der Katastrophe von Fukushima und 25 Jahre nach dem GAU von Tschernobyl bedürfe es dieses "lebendigen Einsatzes", um die Atomkraftwerke endlich abschalten zu können. "Das sind wir unseren Vorfahren und Nachkommen schuldig."
"Energie der Ewiggestrigen"
Laut Bollmann sind es nur noch die Ewiggestrigen, die an der "Restrisiko-Technologie" festhalten. Und mancher Politiker schrecke vor den angeblich hohen Kosten der Energiewende zurück. Doch die Kosten eines Fukushima oder Harrisburg in Europa habe noch niemand ermitteln wollen oder können.
"Hier am Zaun des AKW Brunsbüttel fordern wir, dass dieses Werk nicht wieder ans Netz geht. An den anderen Atommeilern der Republik fordern unsere Geschwister das gleiche." Christen seien dabei "getragen von der Vision des österlichen Lebens". Bollmann: "Wir wissen in aller Gelassenheit, dass sich unsere Hoffnung auf das Leben, das frei ist von Atomenergie und Atomwaffen, am Ende durchsetzt. Warum also nicht heute schon beginnen, die AKWs einzupacken?"