Das Bild, auf dem RWE-Chef Jürgen GroßmannAngela Merkel zuprostet, wurde vor einem halben Jahr zum Symbol für den guten Draht der Regierung zur Atomwirtschaft. Zufrieden waren die Energieversorger, als die Kanzlerin eine Laufzeitverlängerung um durchschnittlich zwölf Jahre durchsetzte. Dann kam die Katastrophe von Fukushima und eine beispiellose Kehrtwende in der deutschen Politik. Sie gipfelte in der Anordnung zum Herunterfahren der ältesten deutschen Atomkraftwerke.
Die Beziehung zwischen Großmann und CDU-Chefin Merkel ist nun auf einem Tiefpunkt angekommen. An diesem Freitag will das Essener Unternehmen beim Verwaltungsgerichtshof Kassel Klage einreichen gegen die Anordnung, das älteste deutsche AKW Biblis A in Hessen zumindest vorübergehend abzuschalten. Dies erfuhr die dpa aus dem Umfeld des Konzerns. RWE sieht sich aus aktienrechtlichen Gründen dazu gezwungen. Denn mit einem abgeschriebenen AKW lässt sich etwa eine Million Euro pro Tag verdienen. Zwar fällt auch Biblis B in die Kategorie der sieben ältesten Meiler, aber es stand zum Zeitpunkt der Entscheidung zum Moratorium ohnehin wegen einer Revision still.
Experten sehen gute Chancen für Klage
Die Regierung hatte die Stilllegung mit Paragraf 19, Absatz 3 des Atomgesetzes begründet. Danach kann eine AKW-Stilllegung verlangt werden, wenn Gefahren für Leben, Gesundheit oder Sachgüter bestehen. Es ist so etwas wie der "Gefahrenabwehr-Paragraf" des Atomgesetzes. Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) hatte die Anwendung als vorsorgende Maßnahme nach den Ereignissen in Japan begründet.
Mehrere Juristen halten diese Auslegung für sehr gewagt und sehen die Abschaltung auf wackligen Füßen. Der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, hält die politisch verfügte Stilllegung daher für illegal. Die Bundesregierung und die betroffenen Landesregierungen hätten "offensichtlich keine Rechtsgrundlage für das Moratorium", sagte er der "Badischen Zeitung". Die Betreiber hätten gute Erfolgsaussichten für eine Klage.
Und darauf setzt auch RWE. Mit Einreichung der Klage könnte das Unternehmen Biblis A theoretisch am Freitag wieder hochfahren, denn in der Anordnung zum Abschalten wurde kein Sofortvollzug verfügt. Sollte RWE sich mit der Klage gegen die hessische Landesregierung, vor allem aber gegen die Bundesregierung durchsetzen, käme dies einer Ohrfeige gleich, weil das Moratorium praktisch hinfällig war.
Eon verzichtet auf Klage
Die Regierung hatte darauf gesetzt, dass die Energiebosse angesichts der Bilder der Atomruinen von Fukushima die Füße stillhalten. Erfreut nahm man am Donnerstag zur Kenntnis, dass Eon auf eine Klage gegen die Abschaltung seiner Meiler Isar I (Bayern) und Unterweser (Niedersachsen) verzichtet.
Nicht so Großmann. In der Konzernzentrale vermutet man, dass die Regierung einen neuen Atomausstieg mit kürzeren Restlaufzeiten anstrebt. Ebenso gilt es in der schwarz-gelben Koalition fast schon als ausgemacht, dass das 1974 ans Netz gegangene AKW Biblis A, aber womöglich auch Biblis B nie wieder hochgefahren werden dürfen. RWE hat also wenig zu verlieren und setzt nun auf Konfrontation statt auf Kooperation.
Für die Regierung könnte es teuer werden, müsste Schadensersatz gezahlt werden. Viel schlimmer wäre aber der Gesichtsverlust, wenn ein Gericht urteilen würde, Schwarz-Gelb habe mit dem Atom-Moratorium willkürlich gegen das geltende Atomgesetz verstoßen.
Angela Merkel muss schon geahnt haben, dass RWE ihr Vorgehen nicht einfach so akzeptieren wird. In einem Schreiben wandte sich Großmann jüngst an die Unterzeichner des "Energiepolitischen Appells", mit dem 2010 für die Kernenergie als Brückentechnologie geworben worden war. Es bestehe kein Anlass zu nationalen Alleingängen, kritisierte Großmann. Und fügte hinzu: "Bisher steht die deutsche Bundesregierung mit ihrer Ankündigung allein, sieben ältere, aus meiner Sicht aber absolut sichere, Kernkraftwerke zunächst für drei Monate stillzulegen."
Künast: Röttgen muss schnell handeln
Der Vorsitzende der Unionsfraktion im Bundestag, Volker Kauder, reagierte gelassen. In der ZDF-Sendung "Maybritt Illner" zeigte er sich überzeugt, dass die Entscheidung der Bundesregierung zur Stilllegung der sieben ältesten Atommeiler Bestand haben werde. "Wir werden auf die Klage so reagieren, dass das Moratorium weiterläuft", sagte der CDU-Politiker.
Grünen-Fraktionschefin Renate Künast warnte hingegen, dass Biblis A sofort wieder ans Netz gehen könne, falls das Gericht einem Antrag auf einstweilige Verfügung stattgeben sollte. Künast forderte daher Umweltminister Norbert Röttgen zum schnellen Handeln auf. Sie verlangte von ihm eine Anordnung zum sofortigen Vollzug der Abschaltung der sieben ältesten Kernkraftwerke in Deutschland.
Linke-Chef Klaus Ernst forderte die Bundesregierung auf, eine Verstaatlichung der Energiekonzerne zu prüfen. "Der Staat darf sich nicht erpressbar machen", erklärte er. "Strom gehört nicht an die Börse, sondern in die Hand der Bürger. Die Enteignung und Zerschlagung der Stromriesen darf kein Tabu mehr sein."
Roth wirft CDU und CSU Geschichtsklitterung vor
Die Grünen-Vorsitzende Claudia Roth warf CDU und CSU Geschichtsklitterung vor. "Es ist abenteuerlich, wie die Union jetzt sechs Jahrzehnte massivsten Atomlobbyismus vergessen machen will", sagte Roth der "Leipziger Volkszeitung" (Freitag). "Vom ersten deutschen Atomminister Franz Josef Strauß (...) bis hin zu (Kanzlerin) Angela Merkel, die 2010 den Atomausstiegskonsens brach und die Laufzeiten verlängerte, war die Union die politisch treibende Kraft hinter der Atomenergie."
Der Vorstandsvorsitzende der BASF, Jürgen Hambrecht, plädierte dafür, die Diskussionen über eine Energiewende mit kühlem Kopf zu führen. "Wir müssen jetzt innehalten, analysieren und die richtigen Schlüsse ziehen. Dafür war das Kernenergie-Moratorium richtig", schrieb Hambrecht in einem Beitrag für das "Handelsblatt" (Freitag). Der BASF-Chef ist Mitglied der Ethikkommission, die die Politik bei der Bewertung der Risiken der Kernkraft beraten soll.
Der Vorstand der Grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung, Ralf Fücks, hat die Einladung von Kanzlerin Merkel abgelehnt, der Ethikkommission anzugehören. Das sagte Fücks der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" (Freitag). Die Einladung des Grünen-Mitglieds zur Mitarbeit in dem Gremium war kurz vor den Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz bekanntgeworden.