Vier Tage lang trafen sich Mitte März rund 1.200 Jugendredakteure, engagierte Bürgerjournalisten und professionelle Medienmacher zur 8. Linken Medienakademie (LiMA) auf dem Campus der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin-Oberschöneweide.
Die Idee dahinter ist, dass Graswurzelprojekte und Bürgerinitiativen lernen, einerseits die eigenen Themen und Aktionen medienwirksam aufzubereiten und den etablierten Massenmedien anbieten zu können, andererseits aber auch eigene Zeitungen, Videos oder Internetseiten jenseits des mainstream herstellen und publizieren zu können. Die Affäre um den ehemaligen Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg hat gezeigt, dass schon eine Handvoll engagierter Bürger in vorher nicht vorstellbar kurzer Zeit via Internet genügend brisante Informationen zusammentragen kann, um eine ganze Regierung in Erklärungsnot zu bringen. Nicht wenige sehen daher auch in der Öffnung der Archive, der Offenlegung geheimer Dateien und der Zusammenarbeit mit engagierten Laien die Zukunft des modernen investigativen und demokratischen Journalismus.
"Es muß auch ein Recht auf Enthüllung geben"
Mit Spannung wurde daher auch der Vortrag des ehemaligen WikiLeaks-Sprechers Daniel Domscheit-Berg auf der Medienakademie erwartet. Die Motivation für sein neues Projekt OpenLeaks ist einfach erklärt: Die komplexe globale Welt sei immer weniger zu verstehen. Die schlimmsten Krankheiten und Korruption unserer Gesellschaft reiften im Geheimen. Der mediale Standard sei aber immer noch von Geheimhaltung und nicht von Transparenz geprägt. "Es muß zwar vor allem im Privaten ein Recht auf Geheimnis geben, aber es muß auch ein Recht auf Enthüllung geben. Es braucht neue Mechanismen für einen Transparenz-Standard", fordert Daniel Domscheit-Berg (Bild unten). Und dieses Transparenz-Tool will er nun mit OpenLeaks schaffen.
Die größte Hürde dafür sei immer noch zuerst eine technische, damit der Informant anonym bleiben kann. Es gebe zwar Versuche etwa von WAZ oder Al Jazeera, aber in technischen Details hake es an der Umsetzung, meint der Informatiker. Auch die rechtlichen Grundlagen seien bislang weitgehend unklar. In jedem Land herrsche eine eigene juristische Situation. Zudem müsse man sämtliche Sprachen und alle Dateitypen der Welt beherrschen, ein extrem aufwändiges Unterfangen. Insgesamt halte dies die meisten Medien davon ab, ein eigenes whistleblower-Portal zu betreiben.
Ein weiteres Problem ist, dass die Masse der Dokumente von einem einzelnen Leser kaum bewältigt werden kann. Die wenigsten Menschen lesen überhaupt Quellendokumente. Erst die Medien eröffnen den Kontext. "Auch innerhalb des kleinen WikiLeaks-Team war das kaum zu bewältigen. Daher ist es ja unser neues Konzept, dass wir mit sehr vielen professionellen Partnern zusammenarbeiten", meint WikiLeaks-Aussteiger Domscheit-Berg. WikiLeaks arbeitete in der Vergangenheit allerdings nur mit wenigen Redaktionen, der "New York Times", dem "Guardian" und dem "Spiegel" zusammen. Aber dies sind eben auch exklusive Partner, die Informationen filtern. Die Gefahr ist groß, dass die meisten Informationen unveröffentlicht im Archiv landen.
"Wir alle sind heute content-producer und publisher"
Auch Nicht-Spiegel-Leser sollten an den Geheiminformationen teil haben können, ohne Gefangene der exklusiven Medienökonomie zu werden, meint Domscheit-Berg. Anders als WikiLeaks will das neue OpenLeaks nicht mit nur drei, sondern rund 100 Partnern zusammenarbeiten, die je zur Hälfte aus dem Bereich von Nichtregierungsorganisationen und aus dem Bereich der Medien stammen. OpenLeaks will nur mit Organisationen zusammenarbeiten, die der Aufklärung der Öffentlichkeit dienen.
"Wir alle sind heute content-producer und publisher. Nie war es so einfach wie heute", gibt sich der OpenLeaks-Gründer optimistisch. Angestrebt wird ein Multiplexing. Danach soll es OpenLeaks-Briefkästen für rund 100 Anti-Korruptionsverbände, investigative Recherchenetzwerke, Umweltorganisationen, Initiativen und Redaktionen geben. "Man geht dann zum Beispiel mit einer brisanten Umweltinformation direkt an openleaks.greenpeace.org. Man kann es nicht direkt an uns schicken. Wir sorgen nur dafür, dass der Datenverkehr für Außenstehende uneinsichtig bleibt. Meta-Daten, Wasserzeichen, jegliche Rückverfolgungsmöglichkeiten sollen eliminiert werden. Die Sache der Schwärzung und Anonymisierung der brisanten Dokumente liegt dann in den Händen der Benutzer, der Redaktion", verrät Domscheit-Berg die Grundidee seines neuen Portals.
"Beta-Version" von OpenLeaks startet im Sommer
OpenLeaks arbeitet zudem an einer offenen Wissensdatenbank, über die die Erfahrungen mit anderen Enthüllungs-Basisprojekten ausgetauscht und geteilt werden. Laut Domscheit-Berg befindet sich OpenLeaks nach einem Jahr der Entwicklung nun in der "Alpha-Testphase" mit 5 bis 6 kleineren Partnern. Im Sommer dann gibt es eine "Beta-Testphase."
Zur Zeit wird OpenLeaks privat und durch Spenden finanziert. Es gehe um ein effizientes Non-Profit-Projekt, nachhaltig und langfristig ausgelegt. Man benötige weniger Geld als viel mehr Infrastruktur für das operative Geschäft. Gewollt sind Partner, die mehrere Server kostenfrei zur Verfügung stellen. Denn dies biete einen größeren Schutz gegenüber Hausdurchsuchungen als etwa eine reiche aber zentrale Organisation.
Daneben fehlt die juristische Absicherung des Projektes. Es bedürfe der Institutionalisierung der Transparenz-Idee als Teil unserer Kultur. Immerhin denke die SPD derzeit darüber nach, ein whistleblower-Schutzgesetz zu etablieren. Flankierend will Domscheit-Berg zudem eine Stiftung für Transparenz und Whistleblowing gründen. Es wäre das dritte Standbein für das beginnende OpenLeaks-Projekt.
Thomas Klatt ist freier Journalist in Berlin.