Die alltägliche Liebe zum Vampir: "True Blood" in RTL2

Die alltägliche Liebe zum Vampir: "True Blood" in RTL2
Haben Sie heute schon Ihren Vampir geknuddelt? Dass wir schon seit Jahren von solchen Typen umzingelt sind, zeigt RTL2 in einer schrägen Serie mit Kultpotenzial.
17.03.2011
Von Sabine Horst

Das Tor zum Jenseits hat sich aufgetan und einen Haufen übersinnlicher Wesen mit übernatürlichen Fähigkeiten ausgespuckt. Ganze Mediensparten leben von bleichen Leuten mit Fangzähnen und Blutdruckproblemen; jeder Erstleser kann mühelos zwischen Trollen, Wichteln und Zwergen unterscheiden. Und kaum ein Fernsehsender kommt ohne Hexen ("Charmed"), Nixen ("H20") oder wöchentlich wechselnde Dämonen ("Supernatural") aus.

Mein Vampir heißt Bill, hat im amerikanischen Bürgerkrieg gekämpft und in seiner Sturm- und Drang-Zeit ein paar üble Morde begangen. Jetzt möchte er ein besserer Vampir werden, und weil ein paar Wissenschaftler einen Blutersatzstoff erfunden haben, der wie ein Softdrink über die Theke verkauft wird, stehen die Chancen gut. Der Junge könnte sich vegetarisch ernähren oder vegan, oder wie das dann heißen müsste, und ein "normales" Leben führen, als vollgültiges Mitglied der westlichen Wertegemeinschaft.

Blutsauger für Erwachsene

Bill (Stephen Moyer) ist einer der Stars von "True Blood". In der HBO-Serie, die in den USA Kult ist und bei uns seit dem 17. März im Free-TV gezeigt wird, werden alte Horror- und Fantasyelemente auf die erfrischendste Weise ins Politische gewendet. Zunächst sieht die auf einer erfolgreichen Romanserie basierende Show wie eine erwachsene Antwort auf die "Twilight"-Filme oder die "Vampire Diaries" aus. Auf den zweiten Blick ist sie der TV-Kommentar zur Zeit - zur Integrationsdebatte zum Beispiel.

Ähnlich wie die Schwulen in den vergangenen Jahrzehnten, ähnlich aber auch wie die schwarze Community und andere ethnische Gruppen, drängen die Vampire der Serie aus den Särgen ans Licht und auf ihre Rechte als Bürger. Sie sind finanzkräftig und haben eine tolle PR-Frau, die sie in Talkshows gegen die Repräsentanten der moral majority vertritt. In Bon Temps, einer Kleinstadt in Louisiana, kommt es zum Clash. Hier probt Bill mit der telepathisch veranlagten Kellnerin Sookie Stackhouse (Anna Paquin) eine interkulturelle Beziehung.

Kritisch beäugte Mischehen

Die Romanze der beiden ist ein Drahtseilakt. An dem integrationswilligen Lover hängt ein Clan, der nach eigenen, uralten Gesetzen lebt. Wenn sie gerne wach wäre, muss er zu Bett; was ihr schmeckt, verursacht ihm Bauchschmerzen; obwohl sie ihm den einen oder anderen Liebesbiss gestattet (außer Eisenmangel hat so was heute keine Nebenwirkungen mehr), wird er stets scharf bleiben auf echtes Blut. Und natürlich wird die "Mischehe" nicht gern gesehen im Süden, mitten in der Redneck-Zone.

Um Sookies und Bills Ursünde entspinnt sich ein ganzes Netz von Geschichten. Immer mehr Figuren geben sich als magische Kreaturen, als "abweichend" zu erkennen, keiner ist, was er zu sein scheint. Kein Wunder, dass Merkmale wie sexuelle Orientierung, Lebensstil, politische Position und ethnische Zugehörigkeit stets neue, überraschende Verbindungen eingehen. Der örtliche Sexprotz fällt aus der Rolle - "ich liebe den Geruch von Nagellack am Morgen" -, die Öko-Intellektuelle mit der astreinen CO2-Bilanz bremst vielleicht für einen Kopfsalat, nicht aber für den Vampir von nebenan, und während einer der Untoten sich für eine gewaltfreie Gesellschaft opfert, verüben christliche Sektierer Selbstmordattentate mit Sprengstoffgürteln.

Schluss mit der Hygiene

"True Blood" ist eine einzige Feier der Normüberschreitung, Irritation und Verwandlung. Und eine konsequente Absage an die Hygienefantasie, die reaktionären Weltbildern zugrunde liegt - die Vorstellung von denen dort und uns hier, von besseren oder schlechteren Genen. In einer Zeit, in der sich Völker und Nationen um jeden Preis zu entmischen suchen - Christen bitte nach links treten, Muslime nach rechts - plädiert die Serie für Fusion: Sie macht Feuer unterm "melting pot".

Zu verdanken haben wir "True Blood" dem Erfolgsproduzenten Alan Ball, der uns bereits "Six Feet Under" geschenkt hat (derzeit auf ZDF Neo zu sehen). Er hat das Ganze als wüste Mischung aus blutigem Horror, Sex und Soap-Elementen konzipiert: ein Premiumprogramm im landläufigen Sinn ist das nicht. Aber irgendwann - in den USA ist die vierte Staffel in Arbeit - fühlt man sich dem Vampir Bill und seiner blutsaugenden Bande nicht weniger nah als den Leuten aus der "Lindenstraße". Schließlich müssen wir heute alle unser Weltbild neu justieren. Und vielleicht steckt in jedem von uns mehr Übersinnliches, Fremdes und Seltsames als gedacht. Ich werde jedenfalls versuchen, Kontakt zu meiner inneren Elfe aufzunehmen.

"True Blood": mittwochs um 22.05 Uhr auf RTL2. Auf DVD sind bislang zwei Staffeln erschienen (Warner, FSK: ab 16). Die Sookie-Bücher von Charlaine Harris sind auch auf Deutsch veröffentlicht, der elfte Band kommt im Mai.


Sabine Horst ist Redakteurin bei epd Film.