Meinung, Meinung, Meinung statt Fakten, Fakten, Fakten

Meinung, Meinung, Meinung statt Fakten, Fakten, Fakten
In den USA verändert sich Journalismus: Im Mutterland der objektiven Nachricht boomt die Meinung – je radikaler, desto besser. Die Gesellschaft ist politisiert und der Journalismus durch die Medienkrise angeschlagen, analysieren die Medienforscher dort. Medienkrise? Gibt es in Deutschland auch. Auf die Straße gegangen wird auch wieder mehr. Von Hassthesen in Radioshows sind deutsche Medien aber weit entfernt – denn Journalisten hier haben schon immer mehr ihre Meinung gesagt.
16.12.2010
Von Miriam Bunjes

In den USA, sagte Fox-Moderator Glenn Beck in seiner jüngsten Sendung, sind die Menschen entweder Spielfiguren der Regierung oder Kämpfer für Werte. "Und", dabei schreit er und hebt in Politiker-Manier drohend den rechten Zeigefinger "wir müssen noch mehr Kämpfer werden." Beck gilt, wohlgemerkt, in den USA als Journalist. Legendär sind auch diese Aussagen: Barack Obama habe einen tief sitzenden Hass für weiße Menschen und die weiße Kultur und christliche Predigten über soziale Gerechtigkeit seien in Wahrheit kommunistisch oder faschistisch. Inszeniert sind seine Sendungen als Journalismus, Fox nennt sich "news program" und Becks Format "news show".

Was der Fernseh- und Radiomoderator den USA kundtut, ist das Weltbild der ultrakonservativen und immer stärker werdenden Tea Party Bewegung: Die USA sind am Abgrund, Schuld ist Obama, ein gefährlicher Sozialist, der die amerikanischen Werte mit den Füßen trete und die Öffentlichkeit belüge. Beck ist in Rupert Murdochs Kabelkanal nicht allein mit seinen Meinungen. Auch die Ikone der Tea Party, die Republikanerin Sarah Palin, ist hier unter Vertrag. Sie laden in ihren News Shows auch zu Demonstrationen ein – und viele Bürger kommen. Denn Meinungsmache ist kein Randprodukt, sondern ausgewiesenes Erfolgsprodukt – vor allem im Fernsehen und im Radio, die in den USA deutlich mehr konsumiert werden als Zeitungen.

Nachts schlägt die Stunde der Ideologien

"Der Journalismus in den USA hat sich stark verändert", sagt der Hamburger Medienwissenschaftler und USA-Experte Hans-Jürgen Kleinsteuber. "Traditionell sind in den USA Meinung und Nachricht viel konsequenter getrennt als in Deutschland. Der Rundfunk hat diese Norm durchbrochen und ist damit sehr erfolgreich."

Tatsächlich zeigt der aktuelle Bericht "State of the News Media" des Project for Excellence in Journalism" (PEJ) beim Pew Center in Washington, dass Zeitungen im vergangenen Jahr fast 30 Prozent ihrer Anzeigenerlöse verloren haben. Die Werbeeinnahmen sanken eigentlich in allen Medien von nationalen Fernsehsendern über Radiostationen bis zu Online-Magazinen. Die einzige Ausnahme ist das Kabelfernsehen. Und dort vor allem Fox und das vor allem nachts, wenn größtenteils ideologische Talkshows laufen. Auch der Sender MSNBC legt zu – mit linksliberalen Talkshows. CNN, einst Aushängeschild für politische Fernsehberichterstattung, schwächelt dagegen.

"Das Fernsehpublikum will offenbar sein Weltbild bestätigt bekommen und schaltet, je nach Einstellung, Fox oder MSCNBC ein", sagt Journalismus-Forscher Kleinsteuber. Für ihn ist das vor allem eine Reaktion auf die derzeit politisierte amerikanische Gesellschaft. "In der Bevölkerung haben diese Meinungen gerade Konjunktur und für die Medienunternehmen ist es eine billige Art, an Publikum zu kommen. Meinung kostet viel weniger als Recherche."

Angst durch die Wirtschaftskrise

So sieht das auch sein amerikanischer Kollege James F. Hamilton von University of Georgia in Athens: "Viele Amerikaner haben durch die Wirtschaftskrise Angst. Das greift die radikale politische Rechte auf und ist damit sehr erfolgreich. Medienunternehmen nutzen diesen Erfolg als Marketing-Strategie: Die Zuschauer bekommen ihre eigene Meinung serviert und das Unternehmen wird dadurch zur erfolgreichen Marke." Der Trend zum Meinungsjournalismus springe auch in den Printjournalismus über, sagt Hamilton. Auch die Autoren des PEJ-Berichts kommen zum Fazit: Es gibt überall mehr Kommentare und weniger Berichte. Und die Ursache dafür sehen sie klar in der Medienkrise, durch die ein Drittel der Redakteursstellen im Print-Bereich in der Medienkrise gestrichen wurden.

Medienkrise? Die gibt es in Deutschland auch und auch hier leiden vor allem die Zeitungen. Und auch die Deutschen gehen zurzeit auch wieder öfter auf die Straße – gegen Stuttgart 21 oder gegen Atomtransporte. Gibt es in Deutschland deshalb auch mehr Meinung im Journalismus? Die Wissenschaft ist geteilter Meinung

Meinung hat Tradition

Immerhin hat Meinung im deutschen Journalismus Tradition. Erst nach dem 2. Weltkrieg wurde die Trennung von Nachricht und Meinung Berufsnorm – nach amerikanischem Vorbild. "Es wurde aber nie so konsequent durchgezogen", sagt die Augsburger Kommunikationswissenschaftlerin Christiane Eilders. "Noch in den 50er Jahren konnte man ganz deutlich erkennen, welches Medium welcher politischen Richtung angehört – und das nicht nur an den Kommentaren." Später sei "Gesinnungsjournalismus" aber ein Schimpfwort gewesen.

"Vor allem für die Regionalzeitungen war und ist zu viel Meinung auch ökonomisch kein gutes Konzept, weil sie ja eine breite Bevölkerung erreichen wollen", sagt Eilders. Überregional dagegen werde seit jeher in der Hintergrundberichterstattung Analyse und Nachricht vermischt. "Die Medienkrise hat daran nichts geändert", sagt Eilders. Formate wie die Glenn-Beck-Show bei Fox hätten im deutschen Rundfunk aber keine Chance. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk, aus dem sie schon von dessen Aufsichtsgremien ausgeschlossen werden würden, habe noch immer eine starke Position. "Aber auch die privaten orientieren sich an gewissen Normen: In politischen Talkshows werden Akteure mit verschiedenen Meinungen nebeneinander gesetzt und sie tauschen pro und contra aus."

Auch Hans-Jürgen Kleinsteuber hält den deutschen Rundfunk durch seine zwei Säulen – privat und staatlich – für krisenresistenter und somit auch weniger anfällig für dramatische Veränderungen. "Das deutsche Publikum würde solche Sendungen auch ablehnen."

Wertung als Entertainment

Mehr Meinung bekommt es aber dennoch, findet dagegen Matthias Degen, Journalismus-Professor am Kölner Ableger der Macromedia Hochschule für Medien und Kommunikation. Und das habe durchaus mit der Medienkrise zu tun. "In den Politikteilen und in den Sportteilen insbesondere der Regionalzeitungen wird immer mehr gewertet", sagt Degen, der zum Thema Meinungsjournalismus forscht. Dabei stünde aber nicht die Absicht, Meinungen zu transportieren, im Vordergrund – auf jeden Fall nicht bewusst: "Im Kampf um die Abonnenten wird immer stärker auf Unterhaltung gesetzt. Und die wird irrtümlich als mehr persönliche Wertung verstanden." Aber auch in der Qualitätspresse gebe es immer mehr Wertung. "Bei der Berichterstattung über die Eurokrise waren Beiträge ohne Meinung eine große Ausnahme." Gleichzeitig beobachtet Degen, dass die Schärfe der als Kommentare gekennzeichneten Beiträge immer weiter abnimmt. "Alle orientieren sich immer weiter an der Mitte, aus Angst um die Leser." Von Meinungsmache à la Tea Party sind deutsche Journalisten demnach weit entfernt.

Dabei kann Meinung auch eine Marktlücke sein. "Die Leser wünschen sich mehr Debatten", sagt Philip Grassmann, Chefredakteur der Wochenzeitung "Der Freitag" . "Das sind sie aus dem Internet auch so gewohnt." "Der Freitag" heißt seit dem Relaunch 2009 im Untertitel "Das Meinungsmedium", reine Nachrichten gibt es nicht. "Die reine Information ist heute überall, jeder kann sich ständig über alles im Netz informieren", sagt Grassmann. "Unser Job ist die Analyse und die Diskussion." Die Diskussionskultur wird entsprechend hochgehalten, online wird diskutiert und gebloggt – von Redakteuren und von Lesern, eine Auswahl der Online-Artikel kommt jede Woche in die Zeitung. "Die Meinung wird den Lesern nicht untergeschoben: Allen ist klar, dass hier Meinungsjournalismus stattfindet. An einer fundierten Meinung kann man sich reiben, man kann sie in Frage stellen und selbst zu einer anderen Meinung kommen." Ohne Recherche geht das nicht. "Wir diskutieren ja auf Basis von Fakten", sagt Grassmann. "Positionen zu zeigen ist aber auch eine Rolle im Journalismus und das sehen wir als unsere Hauptaufgabe."

"Die Leser wollen Haltung"

Das Meinungsspektrum des "Freitags" ist linksliberal. "Innerhalb der Redaktion haben wir einen aufklärerischen Konsens", sagt Grassmann. "Ansonsten sind die Meinungen aber sehr unterschiedlich." Ökonomisch sei der "Freitag" auf einem guten Weg, die Auflage liege bei etwa 15.000, die Klickzahlen bei etwa einer Million. Allerdings verdienen die Redakteure wie bei der "taz" weniger als bei anderen Zeitungen.

Um Debatten geht es auch dem Ende 2009 gestarteten Online-Magazin "The European", Untertitel: "Das Debatten-Magazin im Netz". Auch Chefredakteur und Herausgeber Alexander Görlach spricht von einer Marktlücke, die er fülle: "Anspruchsvoller Debatten-Journalismus im Internet." Und bei der Selbstvorstellung heißt es wenig bescheiden, man wolle "das verloren gegangene Leseerlebnis der großen alten Medien wieder erwecken." Görlach war einmal Chef von Cicero Online und auch Pressesprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Politisch einordnen lasse sich sein Magazin aber nicht, das ist Görlach wichtig. "Wir lassen Leute zu Wort kommen, die etwas zu sagen haben und gehört werden, da gibt es kein Links-Rechts-Schema." Zielgruppe sind "Entscheider": "Wer neben News wissen will, was das Geschehen in der Welt bedeutet, liest uns", beschreibt sie Görlach.

Die Debatten und Analysen seines Web-Magazins sollen für sie die Meinungen der Einflussreichen in Deutschland abbilden. "Zu recherchieren, wer die relevanten Akteure und Autoren sind, ist die Aufgabe von gutem Meinungsjournalismus", sagt Görlach. Laut ihm hat "The European" eine Reichweite von 450.000 Lesern. Seit Oktober kooperiert er dafür mit der linksliberalen US-amerikanischen "Huffington Post" – einer der meist gelesenen News-Seiten im Netz, die ebenfalls Meinung und Nachricht vermischt – aus Überzeugung. "Die Leser wollen Haltung", sagte Huffpo-Reporter Daniel Froomkin im Sommer im taz-Interview. In Abgrenzung zu Fox News betont er aber, es ginge um Einschätzungen von Reportern, "die bewerten können, welche Argumente durch die Realität gedeckt sind und welche nicht."

Neues Berufsverständnis

Im amerikanischen Journalismus wäre ein solches Berufsverständnis vor wenigen Jahren noch undenkbar gewesen. Journalismusforscher James Hamilton glaubt jedoch nicht, dass die journalistische Norm der Trennung von Nachricht und Meinung generell in Gefahr ist. "Gefährlich ist, wie Objektivität zurzeit als Stil und Format genutzt wird: Fox News gibt sich durch seinen Nachrichtenstil den falschen Anstrich von Objektivität. Und dann gibt es die Reaktion darauf, alle Informationen als gelenkt darzustellen, was dazu führt, dass überhaupt keine Diskussion mehr geführt werden kann."

Diese Entwicklung sieht auch Hans-Jürgen Kleinsteuber in den USA: "Die Fähigkeit zum Diskurs kommt abhanden." Für Deutschland kann er dies nicht sehen: "Es gibt Meinungsjournalismus und gab ihn immer. Aber das Niveau ist anders."


Miriam Bunjes ist freie Journalist und arbeitet in Dortmund