Im Fernsehen stellt sich die Frage der Verantwortung

Im Fernsehen stellt sich die Frage der Verantwortung
Nach dem "Wetten, dass..?"-Unfall wird nach Verantwortlichen gesucht. Die Hauptverantwortung trägt aber das Publikum, das gerne einschaltet, wenn es gefährlich wird.
06.12.2010
Von Henrik Schmitz

Quotendruck und Verantwortung lauten die beiden Schlagworte in der Debatte über den tragischen "Wetten, dass..?"-Unfall vom Samstag. Weil das ZDF in Konkurrenz zum "Supertalent" bei RTL auf noch mehr Nervenkitzel gesetzt habe, habe es seine Verantwortung, für die Sicherheit seiner Wett-Kandidaten zu sorgen, vielleicht nicht ausreichend wahrgenommen lautet der mal laut mal leise geäußerte Verdacht.

Es liegt in der Natur der Sache, dass bei Unfällen und Unglücken nach Verantwortlichen gesucht wird. Nach Menschen also, die Verantwortung tragen oder im Einzelfall eben nicht verantwortlich gehandelt haben. Das war auch bei der Loveparade so. Und es liegt in Natur des Menschen, dass er einfache Antworten bevorzugt. Dem Moderator Thomas Gottschalk die Schuld zu geben oder dem Sender wäre so eine einfache Antwort.

Tatsächlich liegen die Ursachen tiefer. Die Verantwortung ist auf viele Schultern verteilt. Auf dem Einzelnen lastet die Verantwortung dadurch so gering, dass sie kaum wahrgenommen wird. Wie aber kann man Verantwortung wahrnehmen, die man nicht spürt?

Aus Showlustigen werden Schaulustige

Etwa acht Millionen Menschen haben "Wetten, dass..?" eingeschaltet. Aber die Showlustigen von einst sind in der Fernsehlandschaft von heute längst zu Schaulustigen geworden. Sendungen wie "Das Supertalent" oder "Deutschland sucht den Superstar" führen Menschen vor und machen sich über diese lustig. Mit herausragendem Quotenerfolg. Die öffentlich-rechtlichen Sender widersetzen sich dieser Art des TV durchaus. Aber dennoch besteht die Gefahr, dass eine schleichende Anpassung stattfindet. Eine Unterhaltungssendung wie "Wetten, dass..?" legitimiert sich zu einem Großteil über die Quote (übrigens war das auch schon zu Zeiten vor dem Privatfernsehen so). Durchaus möglich, dass daher die Grenzen des "höher, schneller, weiter" da nach hinten verschoben werden. Jeder, der sich mit der Fernbedienung für so den Zugewinn an Nervenkitzel entscheidet, trägt Verantwortung.

Aber auch jeder Kandidat, der sich dem Medienzirkus aussetzt, trägt Verantwortung. Die Verantwortung für sich selbst. Wer sich bei einer Fernsehshow wie "Wetten, dass..?" oder "Das Supertalent" bewirbt, ist auch von einem gewissen Selbstdarstellungsdrang getrieben. Er möchte sich und seine Fähigkeiten einem breiten Publikum präsentieren und erhofft sich dadurch Anerkennung und Zuspruch. In einer Zeit, in der die mediengerechte Selbstdarstellung etwa via Youtube allgegenwärtig ist, mag es passieren, dass Einzelne ihre Fähigkeiten zu sehr ausreizen oder womöglich überreizen.

Natürlich müssen die Fernsehsender Kandidaten vor sich selbst schützen. Auch wenn dieser Schutz eventuell einen Zielkonflikt mit der Quote darstellt. In allem steckt aber auch stets das Element des Unvorhersehbaren. Jedes Risiko zu eliminieren ist unmöglich. Unglücke passieren. Immer und immer wieder. "Wetten, dass..?" kann man immerhin zugute halten, dass die Sendung primär darauf ausgelegt ist, Menschen beim Erfolg zuzusehen, während verschiedene Casting-Formate auch die Gier des Publikums befriedigen, andere beim Scheitern zu beobachten.

Das Publikum muss sich auf die Verantwortung der Sender verlassen

Ob das ZDF im Vorfeld der Sendung verantwortlich gehandelt hat, muss noch ausreichend geklärt werden. Was die unmittelbare Zeit nach dem Unfall angeht, kann man dem Sender und Moderator Thomas Gottschalk durchaus verantwortliches Handeln attestieren. Ein "The games must go on" gab es mit Gottschalk nicht. Diese noch unter dem direkten Eindruck der Ereignisse getroffene Entscheidung war mutig und richtig. Ebenso richtig ist es, nun eine sachliche Debatte über die Konsequenzen zu führen.

Eine Konsequenz muss sein, dass Fernsehsender noch stärker darauf achten, Kandidaten vor Sicherheitsrisiken (und auch vor sich selbst) zu schützen. Das Publikum kann sich letztlich nur darauf verlassen, dass die Sender dies tun. Es kann aber auch abschalten, wenn es den Eindruck hat, dass Grenzen nicht eingehalten werden. Muss es am Samstag "Wetten, dass..?" oder "Supertalent" sein? Geht nicht auch "Siedler von Catan"?

Momentan ist aber das Wichtigste, dass Samuel K. wieder gesund wird. Seine Ärzte haben nun die größte Verantwortung – vielleicht, weil vorher von anderen mit Verantwortung falsch umgegangen wurde. Popstar Justin Bieber hat dazu aufgefordert, für Samuel K. zu beten. Das ist das mindeste, was das Publikum nun tun kann.


Henrik Schmitz ist Redakteur bei evangelisch.de und betreut das Ressort Medien und Kultur.