Mit journalistischen Inhalten Geld im Internet zu verdienen, ist für die meisten Verlage eine schwere, zum Teil sogar unlösbare Aufgabe. Große Verlage wie Axel-Springer oder die TimesCorp ("Wall Street Journal") planen daher, ihre bislang kostenlosen Netzangebote nach und nach kostenpflichtig zu machen.
Dass es auch anders gehen könnte, versuchen seit einiger Zeit Unternehmen zu beweisen, die auf das sogenannte "Social Payment" setzen. Mit dieser Idee experimentiert neben dem amerikanischen Spendensammler Kachingle auch der schwedische Dienst Flattr: Nutzer unterstützen die Inhalte, die sie schätzen. Statt der erzwungenen soll es eine freiwillige Bezahlung geben, so der Plan, den Kachingle aktuell sozusagen mit Gewalt durchsetzen will.
Um zu verhindern, dass die insgesamt 57 "New York Times-Blogs" im kommenden Januar hinter der seit Monaten angekündigten "Paywall" verschwinden und dann nur noch gegen Bargeld abrufbar sind, hat Kachingle sie in die Reihe der Seiten aufgenommen, die registrierte Kachingle-Nutzer unterstützen können. Das Geld soll der "New York Times" übergeben werden, um zu beweisen, dass die Leser bereit sind, auf freiwilliger Basis zu zahlen.Die "New York Times" ist darüber allerdings alles andere als erfreut. Statt dem möglichen Spendensegen freudig entgegen zu sehen, hat die NYT Company am 18. Oktober Klage erhoben – wegen Verletzung der Markenrechte und unlauterem Wettbewerb.
Mit der Aktion rund um die New-York-Times-Blogs betritt Kachingle tatsächlich Neuland. Denn normalerweise müssen die Webseiten-Betreiber den kleinen Spenden-Button des Dienstes, eine Münze, selbst einbauen. Hier wird erstmals ohne Zustimmung des Betreibers um Unterstützung geworben, ja sogar gegen dessen erklärten Willen, wie Kachingle-Gründerin Cynthia Typaldos im Blog "Stop the Paywall", unterhaltsam, aber sicher auch etwas naiv berichtet.
380 Seiten nehmen teil
Ingesamt nehmen mehr als 380 Seiten an Kachingle teil, unterstützt werden sie von Tausenden "Kachinglern". "Wir wollen eine neue Kultur der Dankbarkeit schaffen, aber es dauert, bis sich das durchsetzt", erklärte Kachingle-Gründerin Cynthia Typaldos im September bei einem Online-Seminar des Deutschen Journalisten-Verbandes (DJV) ihre Motivation. Die Vision zu dem Dienst habe sie bereits vor Jahre gehabt, damals sei die Zeit dafür aber noch nicht reif gewesen.
Auslöser war eine umfangreiche Recherche zum Thema Krebs, die sie für eine Freundin machte. Ihre Anerkennung für die hilfreichen Informationen konnte sie aber nicht loswerden. "Donation Pal" sollte das Projekt zunächst heißen, verriet die Kachingle-Gründerin dem Blog e-book-new.de. Dann habe sie sich aber für den jetzigen Namen entschieden, der sich zusammensetzt aus "kaching" (lautmalerisch für das Öffnen einer alten Registrierkasse) und "jingle", also Geklimper.
Für einen sprechenden Namen hat sich auch der schwedische Konkurrent Flattr entschieden: "To flatter" heißt "schmeicheln". Die User geben ausgewählten Webpublizisten also neben Geld auch öffentliche Anerkennung für gute Veröffentlichungen.
Sichtbar ist nämlich bei beiden Systemen, wie viel Zustimmung eine Seite beziehungsweise ein Text erhalten hat. Dieser Hinweis kann auch im Sinne des "Gefällt mir"-Buttons von Facebook oder des Retweetens bei Twitter gesehen werden: Was von anderen bereits für gut befunden wurde, bekommt im social web mehr Aufmerksamkeit.
Geld verteilen
Die beiden Dienste folgen einer etwas unterschiedlichen Philosophie: Während Kachingler eine Website, ein Blog, eine Rubrik oder einen Autor dieser Seite dauerhaft unterstützen, steht bei Flattr der einzelne Beitrag im Mittelpunkt. In beiden Fällen zahlt der Leser Geld auf ein Konto ein, das er im Laufe eines Monats auf die besuchten Seiten und gelesenen Beiträge verteilen kann.
Obwohl auch an Flattr schon länger gearbeitet wurde, startete der Dienst erst im Februar 2010. Dass der Flattr-Chef Peter Sunde einer der Gründer der Download-Seite "Pirate Bay" war, sicherte Aufmerksamkeit in der Szene. Neben einigen wichtigen deutschsprachigen Bloggern traten mit der taz, dem "Vorwärts" und dem "Freitag" auch drei kleinere Verlagshäuser dem Experiment bei. Wer die Texte dieser drei Medien im Internet liest, kann dafür per Flattr freiwillig bezahlen. Ein Klick auf den entsprechenden Button unter jedem Text genügt.
Wie viel der Nutzer spendet, bleibt auch ihm überlassen. Schon kleine Beträge wie etwa zwei oder drei Euro pro Monat sind möglich, die dann anteilig auf die geklickten Texte verteilt werden. Flattr behält eine Verwaltungsgebühr von etwa zehn Prozent. Im August öffnete sich Flattr für alle Nutzer, die bis dahin notwendige Einladung zur Teilnahme entfiel.
Geringe Umsätze
Seitdem ist es eher ruhiger um den Dienst geworden. Hatten im Juli mehrere Nutzer ihre Einnahmen für Juni veröffentlicht, sind inzwischen nur noch vereinzelte Angaben zu finden. Die taz etwa ließ in ihrem Hausblog wissen, dass Flattr-Einnahmen im September zum zweiten Mal in Folge gesunken sind. Immerhin nahm die kleine Berliner Tageszeitung im vergangenen Monat 1.124,69 Euro ein. Den bisher höchsten Wert hatte sie im Juli mit 1.420 Euro erreicht. Der Wert des einzelnen Klicks schwankte von Juli bis August zwischen 22 und 30 Cent.
Allerdings zeigt sich bei der Auswertung der Klicks, so taz-Redakteur Sebastian Heiser, "dass die besthonorierten Artikel weiterhin nicht die sind, die den meisten Aufwand mit sich bringen, besonders investigativ sind oder besonders tiefgehend." Aus diesem und anderen Gründen kommt Martin Weigert bei netzwertig.com zu dem Fazit: "Nutzer belohnen über Flattr primär Meinung und Kreativität, weniger Aufwand und Tiefe von Inhalten."
Obwohl die so genannte Thank-You-Economy ebenso wie die allgemeine Spendenbereitschaft in den USA viel weiter verbreitet ist, gilt Deutschland für beide Micropayment-Systeme als wichtiger Markt. So hat die deutsche Seite Carta.info bei Kachingle die meisten Unterstützer. Und auch die beiden anderen deutschen Spitzenreiter, der Blog der Medienjournalistin Ulrike Langer, Medialdigital.de, und die SPD-Zeitung "Vorwärts", rangieren auf der Liste aller unterstützten Seiten mit Platz sechs und sieben weit oben. Da man sich die Zahlungen bei Kachingle im Detail anschauen kann, sieht man aber auch: Geld wird damit noch nicht verdient. Ob der Coup mit der "New York Times" hilft, das Projekt weiter nach vorn zu bringen, wird sich zeigen müssen.
Corinna Blümel ist freie Journalistin und arbeitet in Köln