"Antisozialer Film": Jeff Jarvis kritisiert "Social Network"

"Antisozialer Film": Jeff Jarvis kritisiert "Social Network"
Der "Internet-Guru" Jeff Jarvis lässt kein gutes Haar an "The Social Network". Der Film verstehe Unternehmer und Computerfreaks nicht, schreibt er in seiner Filmkritik bei evangelisch.de. Jarvis gehört mit seinem Blog BuzzMachine zu den bekanntesten Bloggern weltweit. Er ist Professor für Journalistik in New York und arbeitete bei Magazinen wie "People" oder "Entertainment Weekly". Große Verlage wie die New York Times Company berät er in Fragen der Internetstrategie.
06.10.2010
Von Jeff Jarvis

Es gibt kein "Warum", und das ist das Problem von The Social Network. Weder erklärt es die Motive von Mark Zuckerberg, noch schreibt es ihm welche zu – keine Vision, keine Strategie, keine Ziele.

Schnell wird im Film klar, dass Geld für Zuckerberg nichts bedeutet. Doch warum hat er dann Facebook erschaffen? The Social Network gibt keine Antwort auf diese Frage, außer vielleicht, dass er als Outsider zu den Insidern gehören wollte. Doch dies erklärt noch lange nicht, was er geschaffen hat und vor allem warum. Und damit ist der Film grob vereinfachend.

Er will uns nicht vermitteln, dass Zuckerberg die Welt vernetzen wollte und eine elegante Organisation von Internet Communities anstrebte. Der Film ignoriert das einfach. Es ist ein Film über Taktiken, nicht über Strategien. Es geht darum, dass Menschen hartherzig miteinander umgehen. Woanders nennt man das einfach Business.

Der Film erfindet Mist

Der Film verletzt die Privatsphäre, verleumdet Menschen, erfindet reinen Mist. Genau das, für was das Internet eigentlich zuständig ist, oder? Oh ja, es ist auf gewisse Art und Weise auch unterhaltsam. Ungefähr so, als würde man zusehen, wie man Hexen an den Pranger stellt. In "The Social Network" werden Computerfreaks und Unternehmer so mysteriös und furchterregend wie Hexen dargestellt. Der Autor Aaron Sorkin sagt dazu im "New York Magazine": "Er sagt, ohne sich dabei zu rechtfertigen, dass er die Entwicklung von Facebook im Jahr 2010 nicht kennt und dass sein Interesse für Computer sich auf das E-Mail-Schreiben an seine Freunde beschränkt. Meine Wahrheit ist nicht die Wahrheit; ich möchte eine Geschichte erzählen". Also Mist erfinden.

Mark Harris vom "New York Magazine" beschreibt in einer Nebenbemerkung, worum es in dem Film wirklich geht: "In The Social Network bespucken die alten Medien die neuen Medien gezielt mit Papierkügelchen". Doch nicht die alten Medien bespucken die neo-neuen Medien. Sorkin ist Mitglied der Young Curmudgeons' Guild, der unter anderem auch Vertreter wie Gladwell, Carr, Anderson, Rowan, Morozov und Lanier angehören. Die alten Medien sträuben sich vor Veränderung. Diese Typen möchten am Internet kein gutes Haar lassen.

Größere Vision

"The Social Network" versteht schmutziges altes Geld (die in Cartoon-Farben dargestellten, Zuckerberg anklagenden Winklevoss-Zwillinge), schmutziges neues Geld (Sean Parker, der durch David Kirkpatrick im Vanity Fair Magazin sagt, dass er "sowohl komplexer als auch interessanter sei" und das anmaßend Intelektuelle (eine Fantasie des damaligen Harvard-Präsidenten Larry Summers). Und der Film denkt, dass er die Opfer versteht (Facebook-Mitbegründer und ehemaliger Zuckerberg-Freund Eduardo Saverin). Ich habe Saverin einmal bei einem Ausschuss eines Werbenetzwerks getroffen, das Saverin im Namen von Facebook unterstützte und bei dem genau die geschmacklosen Werbungen gefördert wurden, die Zuckerberg für sein Unternehmen verschmähte, weil sie nicht seinem Sinn für Coolness entsprachen und er sowieso eine viel größere Vision hatte als Saverin selbst.

Das ist wohl auch der Grund, warum Saverin gehen musste, ob The Social Network dies nun wusste oder nicht. Eins ist nun klar, es geht um Business. In Bezug auf Winklevii haben sie übrigens keinen Mist erfunden. Ideen, insbesondere einleuchtende Ideen, sind nutzlos: jeder Unternehmer und Computerfreak weiß, dass es einzig und allein um die Umsetzung geht. Das ist Business.

"The Social Network" versteht Unternehmer und Computerfreaks nicht, zumindest nicht den hier porträtierten. Also macht der Film ihn zu jemand anderen. Das macht ihn eigenartig. Zuckerberg wird als – lassen sie mich es unverblümt sagen - Autist dargestellt: glanzlos, humorlos, herzlos, nicht imstande, wirklich sozial zu sein oder echte Freunde zu haben. Ich habe Zuckerberg vier oder fünf Mal getroffen und beim letzten Mal habe ich ihn für Public Parts interviewt. Ich kenne ihn nicht. Vielleicht kennt ihn niemand. Aber zumindest kann ich von ihm sagen, dass er Charme besitzt: er lächelt. Er erzählt Witze. Und er hat eine Vision.

Soziale Zusammenarbeit

Zuckerberg versteht die Strukturen und Motive der Freundschaft, auch wenn "The Social Network" ihn als "freundlos" bezeichnet. In einer kurzen Sequenz inmitten der Szene über die eidesstattliche Aussage, die den narrativen Bogen des gesamten Films bestimmt (weil wahrscheinlich Kodierungen nur in einem Gerichtssaal spannend sind), erzählt der Film eine Anekdote über Zuckerbergs zweites Semester in Harvard (die, wie man erfährt, auf einer wahren Geschichte basiert). Er schwänzte einen Kunstkurs, weil er gerade dabei war, Facebook zu erfinden.

So erzählt Zuckerberg die Geschichte im Jahr 2007: Er postete die Bilder, die er analysieren sollte, auf einer Webseite und bot seinen Kommilitonen per E-Mail einen "Studienführer" an, die das Kunstwerk daraufhin bis ins kleinste Detail analysierten. Die Pointe: Zuckerberg bestand nicht nur die Prüfung, sondern der gesamte Kurs war in den Augen des Profs um einiges besser als sonst. Für mich ist das eine perfekte Fabel für soziale Zusammenarbeit, eine Lektion in Sachen "Wiki-Denken". The Social Network nennt es Betrug. Und genau da liegt die trennende Komponente des Filmes – nicht zwischen Zuckerberg und Freundschaft, sondern zwischen dem Film und der neuen Welt, die er zwar nicht versteht, aber trotzdem porträtieren will.

Drama über einen einzelnen Mann?

"The Social Network" ist ein antisozialer Film. Er misstraut und gibt sich keine Mühe, das Phänomen zu verstehen, das direkt vor seiner Nase liegt. Er missbilligt – wie es Medienleute, alt oder neo-neu, gerne tun - aufgehetzte (oder betrunkene, oder mit Drogen vollgepumpte, oder sexbesessene) Massen, die tun was sie tun. Aber aber, werden die Fans sagen, es geht doch nur um ein Drama über einen einzelnen Mann. Doch in dieser Hinsicht versagt der Film am meisten. Er kann diesen Mann nicht beschreiben, weil er nicht begreift, was er gemacht hat und immer noch macht ("Wir wissen noch nicht, was es ist, " sagt Zuckerberg in dem Film "es wird niemals zu Ende sein").

"The Social Network" ist ein Anti-Computerfreak-Film. Es ist eine Story, die Leute sehen wollen, die sich gegen die aktuellen Veränderungen in der Gesellschaft sträuben. Der Film behauptet, dass das Internet keine Revolution ist, sondern die Erfindung einiger seltsamer Maschinenmenschen, die in der Schule nur gehänselt wurden. "The Social Network" revanchiert sich für die Revanche der Computer-Nerds.

Internet verteidigen

Ich weiß, was ich hier für ein Risiko eingehe. Ich versuche wieder einmal das Internet zu verteidigen, genau wie David Kirkpatrick versucht, sich für Facebook zu entschuldigen. Vielleicht sind wir beide vom Charisma Zuckerbergs hypnotisiert, das Sorkin nicht sehen kann. Vielleicht waren wir zu lange mit Geschäftsleuten zusammen, um die griechische Tragödie in der Sache zu sehen. Vielleicht. Wenn Sie eine Fabel von skrupellosen Geschäftsleuten hören wollen, die unter den Computerfreaks eine menschliche Tragödie verursachen, sollten Sie die Geschichte von Gates, Steve Jobs, Larry Ellison, oder – bald in einem Kino in Ihrer Nähe - Larry Page und Sergey Brin verfilmen.

Ich sehe in Zuckerberg und Facebook – und dem Internet – eine viel größere und bessere Story als die von Sorkin. Bei meinen Recherchen für Public Parts stieß ich auf das wunderbare Buch "The Gutenberg Revolution" von John Man, der sich durch dürftige Aufzeichnungen kämpft, um zu verstehen, warum der Mensch Technologien benutzt, um die alte Welt zu zerstören und eine neue Welt zu erschaffen. Gutenberg war ein Technologe, verschlossen und kontrollierend. Er war Geschäftsmann (ein früher Kapitalist, der einen der ersten Industriezweige erschuf). Er verhandelte hart, er war konkurrenzfähig. Er wurde von den Holländern beschuldigt, die Idee eines anderen gestohlen zu haben. Oh, und er hat sich scheinbar nicht gerade gütlich von mindestens einer Frau getrennt, bezeugt Man. Würde Sorkin ihn heute beschreiben, wäre Gutenberg nur ein Spinner: Wir glauben nicht daran, was er unserer Welt antut. Wir verstehen es nicht, also mögen wir ihn nicht.

Film ist gut gemacht

Sie sollten sich "The Social Network" wirklich ansehen. Der Film ist gut gemacht. Doch während Sie ihn sehen, achten Sie darauf, was er neben Zuckerberg über uns Computerfreaks aussagt. Ich freue mich auf die Diskussion.


Jeff Jarvis ist Professor für Journalistik und bloggt bei Buzzmachine. Seine Kritik an "The Social Network" hat er dort erstveröffentlicht. Der Originaltext wurde für evangelisch.de von Onetranslations übersetzt.