evangelisch.de: Herr Reinbold, wie viele Einladungen zum Fastenbrechen haben Sie in diesem Jahr bekommen?
Reinbold: Insgesamt waren es in diesem Jahr sechs, und zwar von islamischen Verbänden und von Moscheegemeinden. Ich stelle übrigens fest, dass Jahr für Jahr mehr Einladungen ausgesprochen werden, der Terminkalender wird immer voller. In diesem Jahr konnte ich erstmals gar nicht mehr alle Einladungen annehmen, zumal sie meist kurzfristig kommen.
evangelisch.de: Erinnern Sie sich daran, wann Sie erstmals zu einem Iftar-Essen eingeladen wurden?
Reinbold: Oh, das weiß ich gar nicht mehr. Es wird etwa vor sieben oder acht Jahren gewesen sein, als ich begann, mich im interreligiösen Dialog zu engagieren.
evangelisch.de: Mussten Sie sich vorher darüber informieren, was bei solch einem Fastenbrechen beachtet werden sollte?
Reinbold: Nein, ein Fastenbrechen ist ja keine komplizierte liturgische Angelegenheit, bei der man als Gast in ein Fettnäpfchen treten könnte. Ich werde heute manchmal von evangelischen Christen gefragt, ob sie beim Iftar etwas besonderes zu berücksichtigen hätten. Ich sage dann: Nein, einfach hingehen und sich darauf einlassen! Selbst für den Fall, dass es heiß ist und man befürchtet, dass man das Programm und die Grußworte, die sich ja gelegentlich in die Länge ziehen, ohne ein Glas Wasser nicht durchsteht, muss man sich keine Sorgen machen. Muslime achten die religiösen Unterschiede, und meine muslimischen Freunde haben mir immer wieder versichert, dass es in Ordnung ist, wenn ein christlicher Gast ein Glas Wasser trinkt. Essen würde ich aus Gründen der Höflichkeit und des Respekts allerdings nicht – die Frage stellt sich in der Regel aber auch gar nicht, weil die Speisen erst zur Essenszeit auf den Tisch kommen.
evangelisch.de: Die Medien berichten - im Vergleich zu früheren Zeiten - mehr über den islamischen Monat Ramadan und das Fastenbrechen in der Gemeinschaft. Offensichtlich entsteht dadurch der Eindruck, dass inzwischen viel mehr über islamische als über christliche Feste berichtet wird. Manch ein Vertreter der Kirchen in Deutschland beklagt dies jedenfalls.
Reinbold: Ich habe diesen Eindruck nicht. Sicherlich stellen Kirchengemeinden immer wieder fest, dass es nicht einfach ist, in die Medien zu kommen. Davon kann wohl jede Gemeinde ein Lied singen. Der Grund dafür ist simpel: Die Medien berichten über außergewöhnliche Ereignisse. Das meiste aber, was in einer Kirchengemeinde stattfindet, ist nicht außergewöhnlich. Wenn etwa der Bürgermeister zum Gemeindefest kommt und ein Grußwort spricht, dann ist das nichts Besonderes, weil er das jedes Jahr macht. Anders ist es, wenn das Stadtoberhaupt der Einladung einer Moschee folgt. Im Blick auf das Zusammenleben von Mehrheitsgesellschaft und Muslimen ist die Ausgangslage eine ganz andere. Ich finde: Es ist wichtig, dass Muslime und ihre Feste und Feiern einen Platz in den Medien haben. Es ist wichtig, dass die Zeitungen über das gute Miteinander von Christen und Muslimen berichten, das vielerorts besteht. Die Mehrheitsgesellschaft hat eine viel zu schlechte Meinung über den Islam. Es sind noch dicke Bretter zu bohren.
Professor Wolfgang Reinbold ist evangelischer Pfarrer, lehrt an der Theologischen Fakultät der Universität Göttingen und ist Beauftragter für Islam und Migration der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers.