Leben mit Demenz: Die Wochenberichte von Heinz Krieg

Leben mit Demenz: Die Wochenberichte von Heinz Krieg
Seit Katharina Weyandt auf evangelisch.de über Familie Kriegs Leben mit der Demenz der Mutter berichtete, bekommt sie regelmäßig Post aus Hamburg. Heinz Krieg (88) schreibt jede Woche einen Brief, ein mit Zeichnungen illustriertes Blatt, fotokopiert und an zwanzig Freunde und Familienmitglieder versandt. Er schreibt auf dem PC. Wenn er etwas jünger wäre, würde er bloggen, bestimmt! Er berichtet über seine Aktivitäten, Gespräche mit Freunden, Besuche in der Kunsthalle, die jüngste Enkelin und natürlich wie es seiner Gisela im Heim geht - und warum er sicht selbst zum Umzug in das Heim entschloss. Dies sind Auszüge aus diesen Briefen, veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung von Heinz Krieg.
17.06.2010
Von Katharina Weyandt

23.10.09, 9.44 Uhr
Das waren aufregende Stunden und Tage! Gisela trägt ihren rechten Arm im Gipsverband und ist völlig auf die Hilfe anderer angewiesen. Folgendes ist passiert: Bei ihr läutete das Telefon, sie sprang aus dem Bett und wollte den Hörer abnehmen, dazu kam sie aber gar nicht, sie stürzte zu Boden und brach sich den rechten Unterarm!

30.10 09, 6.26 Uhr
Inzwischen geht Gisela schon ziemlich sicher mit ihrem unhandlichen Gipsarm um und hat vor allen Dingen  k e i n e   Schmerzen mehr! Was das Waschen und Ankleiden betrifft, geben sich die Pfleger große Mühe, für mich war das einfach zu schwierig! [Er kann seit einer Kriegsverletzung nur eine Hand gebrauchen, d. Red.]

22.1.10, 9.15 Uhr
Noch gar nicht lange her, da habe ich noch mit Gisela gefrühstückt, jetzt sitzt sie in ihrer "geliebten Sofaecke" im Tagesraum, schaut den anderen Leuten beim Essen zu und spricht gelegentlich mit einer der netten Pflegerinnen. Neulich erzählte mir eine von ihnen, dass sie mit Gisela ein gutes Gespräch über Philosophie hatte. Ich war darüber erstaunt und freute mich. Da gibt es also doch noch versteckte INSELN, auf denen sie früher zu Hause war!

26.2.10, 8.51 Uhr
Das waren schreckliche Tage und Nächte, die hinter mir liegen! Statt der drei wurden vier Zähne gezogen!!! Und weil das wohl nicht reichte, wurde mir auch noch eine heftige Erkältung mit schrecklichen Hustenattacken drauf gelegt. So liege ich seither mehr oder minder im Bett, bin natürlich nicht bei Gisela gewesen und war mit Nahrung unterversorgt. Ein Zustand, der so nicht weitergehen kann. Heute Mittag wird [eine der beiden Töchter, d. Red.] zu mir kommen, und ich werde ihr meinen Plan darstellen, jetzt auch zu Gisela umzuziehen – hoffentlich ist ein Zimmer frei. Dafür könnt ihr ja für mich beten!

4.3. 10, 13.18 Uhr
Seit gestern habe ich mich "für gesund" erklärt, habe mich wieder normal angezogen und meinen Seeräuberbart bei einem türkischen Frisör abschaben lassen. Heute bin ich sogar wieder zum Frühstück zu Gisela gegangen, die sich überschwänglich freute, mich wieder zu sehen! Aber dann ist noch etwas geschehen, was ihr alle wissen solltet: Morgen ziehe ich zu Gisela ins Heim, in ein Einzelzimmer im 6. Stock mit herrlichem Ausblick auf die ganze Stadt! Freut euch mit mir!!

12.3.10, 7.20 Uhr
Als ich vom Frühstück mit Gisela kommend, meine alte Wohnung wieder aufschließen wollte, hörte ich im Inneren den Rauchmelder laut tönen! O, Schreck! Feuer!!!!!!! Meine Küche brannte!!! [Heinz Krieg legte dem Brief einen Bericht aus der "Dorfzeitung" der Wohnanlage mit der Brandschilderung bei: Eine Herdplatte war angegangen und hatte die Holzplatte entzündet, die darauf lag, weil der Herd nur als Abstellfläche benutzt wurde.]

9.4.10, 14.15 Uhr
Warum am 2.4. kein Wochenbericht erschien? Gisela ist leider wieder einmal gestürzt und hat wegen einer stark blutenden Platzwunde am Kopf sogar ins Krankenhaus müssen! Das hat natürlich mein ganzes Programm völlig verändert! Aber jetzt geht es ihr schon wieder besser! Sie lässt euch alle sehr herzlich grüßen!

16.4.10, 10.06
Ich gehe im Augenblick durch "tiefes Wasser". Erneut musste Gisela ins Krankenhaus, denn plötzlich wir sie nicht mehr Herr ihrer Beine. ... Nun sitzt sie in einem Rollstuhl! Die Ursachen dafür sind noch nicht bekannt. Aber sie nimmt es mit erstaunlicher Ruhe! Bewundernswert! Unsere Kinder haben – trotz ihrer beruflichen Belastung – die Zeit gefunden, die alte Wohnung aufzulösen und zu renovieren.

7.5.10, 10.33 Uhr
In den letzten Tagen habe ich - gemeinsam mit den Pflegern – eine Strategie ausgearbeitet, wie man Giselas VERWEIGERUNG der warmen Mahlzeiten ändern könnte. Wir sind zunächst vom großen Speiseraum in den Tagesraum gezogen, haben dort gegessen ... Jetzt sind wir bei ihr im Zimmer gelandet, wo wir in aller Ruhe zu dritt essen. ... Heute wird die letzte dieser kleinen Mahlzeiten sein und dann werde ich das Urteil der Pflegerin hören! .... Gisela läuft fast schon wieder normal. Kein Rollstuhl, nicht mal ein Stock, ich bin begeistert!

14.5. 10, 10.25 Uhr
Das EXPERIMENT beim Mittagessen ist nun in seine vorerst letzte Phase eingetreten: Gisela isst auf der Station, ich esse unten im Speisesaal. Die Begründung hieß REIZÜBERFLUTUNG! Die Pflegerin hatte beobachtet, dass ich Gisela zu häufig anspreche.

Katharina Weyandt traf die Familie Krieg im vergangenen Jahr und jüngst noch einmal, um die Geschichte der Kriegs zu erzählen.


 

Katharina Weyandt arbeitet als freie Journalistin für evangelisch.de und betreut den Kreis "Wenn die Eltern älter werden" in unserer Community.