Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) spielte auf Zeit: Im Dezember 2009 hatte die Kleine Kammer am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) geurteilt, in Deutschland werde mit der nachträglichen Sicherungsverwahrung für rückfallgefährdete Straftäter gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstoßen: Die Sicherungsverwahrung sei eine zweite Strafe nach verbüßter Haft – und zwar ohne absehbares Ende.
Schnell legte Leutheusser-Schnarrenberger Revision ein – in der Hoffnung, die Große Kammer in Straßburg komme zu einem anderen Urteil. In der Zwischenzeit wollte sie den Flickenteppich Sicherungsverwahrung – mehrfach waren die Bestimmungen seit 1998 hastig und ohne angemessene parlamentarische Debatte erweitert worden – in ein Konzept überführen, das mit den Menschenrechten nicht über Kreuz liegt. Der Plan ist gescheitert, der EGMR ließ nicht einmal die Revision zu.
Bundesregierung hat sich blamiert
Die Bundesregierung hat sich blamiert – und mit ihr die Vorgängerregierungen aus SPD und Grünen sowie die Große Koalition. Schon jetzt mussten die ersten Verwahrten entlassen werden. Ein Mann im Saarland wusste morgens noch nicht, dass er abends freikommen würde. Er hatte keine Gelegenheit, sich auf die neue Situation einzustellen und stellt damit paradoxerweise wohl tatsächlich die Gefahr dar, vor der die Politik die Menschen immer schützen wollte. Vermutlich 70 weitere Verwahrte sind im Lichte des Straßburger Urteils zu entlassen; mit juristisch fragwürdigen Tricks versuchen die Landesjustizministerien und Staatsanwaltschaften, diesen Prozess in die Länge zu ziehen. Einerseits verständlich: Die Bevölkerung ist verunsichert, weil Menschen, die man für immer weggesperrt glaubte, vor der Entlassung stehen – darunter auch Sexual- und Gewalttäter.
Eine Zumutung. Aber andererseits auch die Chance zur Debatte: darüber, dass Freiheit ohne Risiken nicht zu haben ist. Wer verspricht, jedes Risiko kontrollieren zu können, gefährdet die Grundlagen unserer freiheitlichen Ordnung. Und nun? Es gibt Alternativen zur Sicherungsverwahrung. Die Führungsaufsicht lässt entlassene Häftlinge in der Freiheit nicht allein. Die Pflicht, sich täglich bei der Polizei zu melden, gehört ebenso dazu wie Therapieangebote. Das kostet Geld. Wer es ernst meint mit der Sicherheit, darf hier nicht sparen.
Nils Husmann ist Redakteur beim evangelischen Monatsmagazin chrismon.