Wir hatten es uns gerade auf unserem Sofa gemütlich gemacht. Mit Flammkuchen und Weißwein. Ein Samstagabend. Einfach mal zu Hause. Nur wir zwei. Wir redeten über die vergangene Woche, die anstehende Wahl und darüber, dass es jetzt wohl wirklich Herbst werden würde. Wir hatten es uns gemütlich gemacht – in Wollsocken und Wohligkeit. Doch plötzlich gab es ein ohrenbetäubendes Knallen, Scheppern, Krachen. Zunächst wussten wir nicht, wie uns geschah. Zu schnell und unerwartet passierte es. Der Weißwein schwappte aus den Gläsern, so sehr erschreckten wir uns. Erst nach einigen Sekunden erkannten wir, was geschehen war: Unser kleines Regal, gefüllt mit dem Sonntagsgeschirr, wie wir die Erbstücke unserer Familien liebevoll nannten, war einfach von der Wand gefallen. Nach vier Jahren treuer Dienste hielten die Schrauben plötzlich nicht mehr im Mauerwerk. Scherben über Scherben. Zwei Löcher in der nackten Wand. Vorbei war es mit unserem entspannten Samstagabend. Unsere Herzen klopften schnell. Vorsichtig begutachteten wir, was von unserem Sonntagsgeschirr geblieben war. Behutsam sammelten wir die Stücke auf, die noch als Tassen und Teller zu erkennen waren. Wir tauschten die Wollsocken gegen feste Schuhe, holten den Staubsauger und versuchten, uns nicht an den Scherben zu schneiden. Viel war nicht übrig von unseren Lieblingsstücken, die wir nur zu besonderen Anlässen hervorgeholt hatten. Es war nur Geschirr, das da zerbrochen am Boden lag und doch schmerzte es uns einen Moment lang, als wir merkten, dass wir es die längste Zeit genutzt hatten. Das dachten wir zumindest.
Aber dann las ich einige Tage später von der traditionellen japanischen Reparaturtechnik Kintsugi: Zerbrochene Keramik wird mit einem Lack, vermischt mit etwas Goldpulver, geklebt. Die Risse leuchten danach golden. Tassen und Teller erstrahlen in einem neuen Glanz. Erkennbar bleibt die Bruchstelle. Und doch: Kunstwerke sind entstanden. Goldschätze. Wertvolles.
Und ich frage mich: Wie wäre das? Wenn wir unsere eigenen Verletzungen, unsere Lebensscherben, unsere Zerbrechlichkeit und unser Scheitern nicht verstecken, sondern zeigen würden. Sie mit Gold anpinseln könnten. Damit sie strahlen, weil sie doch zu uns gehören und uns wertvoll machen. Unperfekt und doch vollkommen. Nur im Gesamten ein Kunstwerk. Mit allen Rissen, die unser Leben mit sich bringt.
Und dann erinnere ich mich an das, worauf doch wir Christen unsere ganze Hoffnung setzen, unseren Glauben und unsere Zuversicht: Wir bekennen, dass es kein Scheitern gibt, das nicht auch zu einem Neuanfang werden kann. Wir glauben, dass es keine Dunkelheit gibt, die nicht durch Licht erhellt wird. Wir feiern, zu Ostern und an jedem Sonntag, dass es kein Grab gibt, in dem nicht neues Leben erblüht. Wir wissen: Es ist nicht immer alles Gold, was glänzt. Aber die Hoffnung darauf, dass es einen gibt, der unsere Lebensscherben aufsammelt, sie neu zusammensetzt und sie vielleicht mit Gold bepinselt, die bleibt. Was für eine frohe Botschaft!
Unser Sonntagsgeschirr trägt nun Goldrand. Die Stücke, die man kleben konnte, wirken anders als vorher. Gebrauchter, gelebter, geheilter. Irgendwie ein bisschen kostbarer. Immer wieder schimmert es golden auf unserem Tisch. Wie eine Erinnerung: An die Scherben an einem Samstagabend und an die Scherben unseres Lebens, die neu zusammengesetzt wurden. Wir holen das mit Gold lackierte Geschirr zu besonderen Anlässen hervor. Kuchen und Kaffee schmecken seitdem nach Ostern.