Ein Update für "Gott" steht bereit. Jetzt herunterladen?

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Ich lese, wo ich gehe und stehe. Meine Oma erzählt manchmal, dass sie mich einmal auf dem Heimweg von der Schule beobachtet hat: Ich lief langsam den Gehsteig entlang, das Buch in der Hand, und blickte nur kurz auf, um die Straße zu überqueren. (Na ist doch klar, den Rest kann man nach ein paar Jahren wirklich auswendig, da kann man ja auch ein Buch lesen.)

Ich lese bei jeder Gelegenheit. Doch eines kommt normalerweise viel zu kurz: Theologische Literatur. Das ist ja für mich irgendwie Arbeit – und wenn ich lese, dann soll es was Entspannendes sein. Was Nettes, bei dem man nicht all zu viel denken muss. 

Eine große Ausnahme von dieser Regel ist ein theologisches Buch, das mir vor kurzem von einer Kollegin empfohlen wurde. Das hat sogar den „Ich lese um Mitternacht noch ein paar Seiten im Bett“-Test problemlos bestanden. 

Das Buch hat den recht außergewöhnlichen Titel „Gott 9.0 – Wohin unsere Gesellschaft spirituell wachsen wird“. Einer der Autoren ist der von „Simplify your life“ oder den kirchlich orientierten Leser/innen auch von den „Himmlischen Bilderbögen“ bekannte Werner Tiki Küstenmacher. Auch die beiden anderen Autoren, Marion Küstenmacher und Tilmann Haberer, sind keine Unbekannten in der „religiösen Szene“.

Auf der Rückseite stehen hochtrabende Sätze wie „Sie werden auf völlig neue Art über Gott reden“ oder „Sie werden verblüffende Antworten erhalten auf viele aktuelle Fragen zu Kirche und Gesellschaft“. 
Zu hoch gegriffen? Ich finde: Nein. Seit langem hat mich kein Buch mehr so fasziniert wie dieses. Die Autoren führen die Gedanken von Clare Graves und Ken Wilber fort, die in den 50er Jahren die „Ebenentheorie“ der Persönlichkeitsentwicklung entwickelten. Diese Ebenen, die aufeinander aufbauen, gibt es aber nicht nur in der persönlichen Entwicklung vom Säugling bis zum erwachsenen Menschen. Auch Gesellschaften als Ganze entwickeln sich in der gleichen Weise weiter – und ebenso das Reden von Gott und die dazu gehörigen Gottesbilder. Die Kreise werden immer weiter: Von reinem, Ich-bezogenen Überlebenwollen (Stufe 1) bis zur vernetzten Allverbundenheit einer global agierenden virtuellen Gesellschaft (Stufe 8; Stufe 9 ist „noch unbekannt“, aber schon in Ansätzen vorhanden) geht diese Entwicklung immer weiter hin zu einer stärkeren Vernetzung und Globalisierung. (Als Perry-Rhodan-Fan – Stichwort: „Leichte, unterhaltsame Lektüre“ – weiß ich ja, wo die Reise dann hingeht: Superintelligenz, Materiequelle, Kosmokraten,... aber zurück zum Thema)

Diese Ebentheorie entfalten die Autoren in ihrem Buch. Sie zeigen, wie die gesamte Entwicklung logisch aufeinander aufbaut. Sie ordnen den einzelnen Stufen intuitiv passende Farben zu, weil viele sich darunter mehr vorstellen können als unter einer Zahl (bei mir ist es andersherum: Ich muss immer umrechnen, wenn im Buch von der BLAUEN oder GRÜNEN Gesellschaft die Rede ist.) Sie zeigen und erklären, wie sich manche Gottesvorstellungen entwickelten – und zum Teil auch wieder von neuen abgelöst wurden. Und sie stellen fest: Während ein Großteil der Gesellschaft heute ungefähr auf der fünften bis siebten Entwicklungsstufe steht, sind insbesondere die institutionellen Kirchen weitgehend auf Stufe vier (blau) stehen geblieben. Auch die „neuen Atheisten“, die sich so vehement gegen die Kirche wenden, kritisieren insbesondere diese in gewisser Weise zurückgebliebene BLAUE Kirche der vierten Stufe. 

Nun muss allerdings niemand Angst davor haben, gewissermaßen als unterentwickelt zu gelten, nur weil er oder sie einer niedrigeren Ebene angehört. Im Gegenteil, die Autoren betonen immer wieder, wie wichtig es ist, in der persönlichen Entwicklung keine Stufe auszulassen. Jede ist wichtig, jede höhere Stufe baut auf den darunter liegenden auf. Wünschenswert aber ist es, dass Menschen offen sind für den Weg und ihre persönliche Entwicklung.

Wie kann es gelingen, sich selbst weiterzuentwickeln? Wie kann es gelingen, die Gesellschaft und auch die Kirche auf eine höhere Ebene zu hieven? Diese Fragen durchziehen das Buch. Und sie machen es so spannend, dass ich es nicht mehr aus der Hand legen konnte.

Jedenfalls bis zu einem bestimmten Punkt. Vielleicht liegt es daran, dass ich noch nicht die achte oder gar die neunte Stufe erreicht habe: Die Spannung fiel genau in dem Moment auf nahezu Null, als die Abhandlung der neun Stufen beendet war. Es folgt darauf nämlich eine Art Kurzkurs in mystischer Versenkung, der ganz interessant ist, aber meines Erachtens nicht so recht zum Rest des Buches passt. Vermutlich soll er dazu anleiten, eine weitere Entwicklungsstufe zu erreichen – bei mir ist das leider nicht gelungen. Doch ich habe mich durchgekämpft und wurde mit dem wieder sehr spannenden Schlusskapitel belohnt: „Die Prä-Trans-Verwechslung“.

Am liebsten würde ich dieses Buch zur Pflichtlektüre machen für alle, die sich in irgend einer Weise mit Glauben beschäftigen. Sei es der eigene Glaube, sei es als Verantwortliche in einer Glaubensgemeinschaft, sei es als Kritiker: Es hilft ungemein, erst einmal festzustellen: Auf welcher Entwicklungsstufe befindet sich das Gottesbild, von dem ich hier rede? Reden wir vielleicht aneinander vorbei, weil wir unter „Gott“ ganz verschiedene Dinge assoziieren? Sind manche Konflikte in diesem System vielleicht sogar vorprogrammiert?
„Sie werden auf völlig neue Art über Gott reden“: So steht es auf der Rückseite. Ich kann für mich bestätigen: Ja, dieses Buch hat zwar (noch?) nicht mein eigenes Bild von Gott verändert, aber es hat das Verständnis für andere geschärft. Prädikat: Unbedingt lesen!

Marion Küstenmacher, Tilmann Haberer, Werner Tiki Küstenmacher: Gott 9.0: Wohin unsere Gesellschaft spirituell wachsen wird. Gütersloher Verlagshaus (25. Oktober 2010) ISBN 978-3579065465, 22,99 €  

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