Reli. Was sonst.

Reli. Was sonst.

Montagmorgen, 7 Uhr. Ich sitze im RE von Schweinfurt nach Nürnberg, auf dem Weg nach Heilsbronn. Vielen wird der Ort unbekannt sein. Nein: Nicht Heilbronn. Mit s: Heilsbronn. Manche, vor allem in Bayern, setzen bei diesem Ortsnammen ihren „Kenn ich!“ Blick auf. Vor allem, wenn sie Lehrer sind. Heilsbronn: Sitz des Religionspädagogischen Zentrums und Instituts für Lehrerfortbildung der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern.

Zwei Tage werden wir Schulbeauftragten, zu denen ich gehöre, uns dort treffen und uns zu Fragen des Religionsunterrichts austauschen. Schwieriges Feld, ich weiß: Der Religionsunterricht. Von vielen geliebt als das Fach, in dem man selbst mit Mandalas malen noch eine 1 bekommt. Von anderen verhasst als das langweiligste Fach der Welt. Von manchen scharf kritisiert, da es der Trennung von Kirche und Staat zuwiderlaufe.

Seit drei Jahren bin ich nun „Schulbeauftragter des Dekanats Schweinfurt“. Habe ein bisschen mehr Einblick in dieses Fach als der Durchschnitts-Mensch. Und nutze heute die Zugfahrt, um ein wenig davon zu erzählen.

Schulbeauftragter. Das bedeutet: Ich bin für den gesamten Religionsunterricht in unserem großen Dekanat verantwortlich. Das ist eine halbe Stelle plus 4 Stunden Sekretärin. Ich bin Vorgesetzter von fast 30 kirchlichen Lehrkräften an ca. 80 Schulen und verteile außerdem die Pfarrerinnen und Pfarrer, die in Bayern normalerweise auch 6 Stunden in der Woche unterrichten müssen. Insgesamt ergibt das Woche für Woche 534 Stunden Religionsunterricht. Dazu kommen noch jede Menge staatlich angestellte Lehrkräfte mit „Vocatio“, so heißt die kirchliche „Lehrerlaubnis“. Wie viele Stunden die noch geben, weiß ich gar nicht. Insgesamt also ein riesiges Feld, in dem wir als Kirche sehr intensiven Kontakt zu jungen Menschen bekommen können.

Warum läuft's dann nicht besser? Müssten die jungen Leute dann nicht scharenweise in die Kirche kommen, wenn der Religionsunterricht gut ist? Müssten sie nicht Jugendgruppen gründen, Jugendgottesdienste feiern, überhaupt einfach überzeugte Christen werden? Und wenn sie es nicht werden: Wozu ist der Religionsunterricht denn dann da?

Das ist ein Gedanke, den ich schon öfter von Gemeindegliedern gehört habe. Aber: Religionsunterricht soll in erster Linie nicht missionieren. Er soll dazu helfen und anregen, sich mit dem Thema „Glauben“ zu beschäftigen. Mit der Geschichte unseres Glaubens und den Geschichten, die dahinterstehen. Schule ist eine Bildungseinrichtung, nicht eine zur Glaubensvermittlung. In Religion wird auch nicht Glaube geprüft – nur das Wissen über den Glauben. Und das, denke ich, ist in einer Gesellschaft, die ursprünglich christlich geprägt ist, sehr wichtig. Nur, wer die  theologisch-philosophischen Hintergründe unserer Gesellschaft kennt, kann auch heute gut mitreden über Fragen des Lebens, Ethik, ja, auch Politik. Es hilft einfach, nicht nur zu sagen „Nichts ist gut in Afghanistan“ - sondern zu wissen, welche Position es zum Thema Krieg und Frieden gibt. Oder sich differenziert mit Fragen wie Schwangerschaftsabbruch (wie ist das bei Behinderungen?), Sterbehilfe oder auch Partnerschaft auseinanderzusetzen. 

Bei meinen Unterrichtsbesuchen habe ich eine Menge davon erlebt. Da, wo es gut läuft, entsteht im Religionsunterricht eine rege Diskussionskultur. Die eigene Meinung zu finden und sie begründet zu vertreten: Das ist hier wichtig. Dazu möchte ich junge Menschen befähigen.

Zumindest für unser Dekanat Schweinfurt kann ich sagen: Es läuft im Großen und Ganzen sehr gut. Natürlich gibt es Pfarrerinnen und Pfarrer, die – sagen wir mal – ihre Stärken woanders haben als ausgerechnet im Religionsunterricht und die diese Stunden halt irgendwie versuchen rumzukriegen, weil es ihre Pflicht ist. Natürlich gibt es auch kirchliche Lehrkräfte, die mit den modernen Methoden des Unterrichts überfordert sind und die armen Kinder lieber alle Strophen von „Geh aus mein Herz und suche Freud“ auswendig lernen lassen. Und ebenso die, die sich damit schwertun, andere theologische Positionen stehen zu lassen. Es gibt die, die ein ganzes jahr nur Mandalas malen lassen und Filme zeigen. Es gibt die, die „Mission“ betreiben und damit manchmal junge Menschen eher vergraulen als für den Glauben interessieren.

Ja, es gibt sie. Natürlich. Denn Menschen sind nicht perfekt. Aber die überwiegende Mehrheit meiner bisherigen Unterrichtsbesuche hat mich wirklich begeistert. Eine offene, kreative Atmosphäre. Aufmerksamkeit für das, was die Schülerinnen und Schüler beschäftigt und bewegt. Die Flexibilität, die eigene Unterrichtsplanung über den Haufen zu werfen (selbst, wenn der Schulbeauftragte grade hinten drin sitzt!), um sich einem drängenden Problem zu widmen, das ein Schüler mitbringt. Die selbstverständliche Bereitschaft, die ganze Schule zu begleiten, wenn etwas Schlimmes geschehen ist, etwa ein Schüler plötzlich gestorben ist.

Ich glaube: Wenn er so läuft, wie ich ihn immer wieder erlebe, ist unser Religionsunterricht wirklich segensreich für die Schule. Das höre ich auch immer wieder von Klassleitern: „Wir haben für diese Dinge viel zu wenig Zeit – gut, dass es euch gibt.“

Darum heute, aus dem Zug zur Schulbeauftragten-Konferenz, ein ganz dickes DANKESCHÖN an alle, die sich in dieser Arbeit engagieren.
Und an alle, die drin sitzen (nicht im Zug, sondern im Religionsunterricht): Gut, dass ihr da seid. Nutzt eure Chance, möglichst viel über Leben und Glauben zu erfahren. Nutzt eure Chance, eure eigene Meinung zu bilden und zu vertreten. Es lohnt sich.

Nächster Halt: Nürnberg Hbf. Umsteigen. Schnell noch den Text veröffentlichen, denn im RPZ hinter den dicken Mauern des ehemaligen Klosters gibt es praktisch kein Netz.

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