Kleine Geschenke erhalten die Freundschaft, heißt es. Gerade jetzt zur Weihnachtszeit kommt der Spruch vermutlich vielen in den Sinn, die dieser Tage durch die Geschäfte eilen auf der Suche nach einem passenden Präsent. Sie alle seien gewarnt: Ein Geschenk untermauert nicht in jedem Fall eine Freundschaft, sondern kann diese auch auf eine harte Probe stellen. Zur Veranschaulichung der Problematik möchte ich Ihnen eine wahre Geschichte erzählen:
Als vor einiger Zeit die Schwester und der Schwager zu Besuch in England waren, kamen sie nicht umhin, uns ins Gartencenter zu begleiten. Während wir drei die nach Material, Farbe und Größe geordneten Stapel von Blumentöpfen und Trögen nach einem passenden Modell für unsere Terrasse absuchten, stand der Mann mit verträumtem Blick vor dem Regal mit den Gartenzwergen. Seit Langem lässt er in regelmäßigen Abständen Bemerkungen fallen, dass er gern einen garden gnome hätte, und ich als Deutsche, also Angehöriger des Volkes, das den Gartenzwerg im 19. Jahrhundert erfunden hat, müsste dafür doch Verständnis haben.
Habe ich aber nicht. Leider findet aber mein Hinweis, dass eine solche Gartendekoration spießig sei, kein Gehör –es gibt keine adäquate englische Übersetzung für das Wort „spießig“, und so ernte ich nur verständnislose Blicke. Ich habe den Kontakt mit Gartenzwergen bisher so gut es ging vermieden, wenn man mal von dem Buch absieht, das wir dem Schwiegervater letztes Jahr zum Geburtstag geschenkt haben. Garden Gnomes - A History hießes, und sollte eher ein Scherz sein, denn der Schwiegervater hat mit seinem weißen Bart tatsächlich Ähnlichkeit mit den Figuren im Beet.
Aber ich schweife ab. Jedenfalls bekamen die Schwester und der Schwager den kurzen Schlagabtausch zwischen dem Mann und mir mit, enthielten sich aber eines Kommentars. Bei unserem nächsten Besuch in Europa (so nennt man das europäische Festland hier in Großbritannien) gab die Mutter uns beiden zum Abschied je ein kleines Geschenk. Ich bekam „Grünes Glück –Geschichte eines Gartens“, ein wunderbares Büchlein über die Freuden und Leiden der Hobbygärtnerei. Als der Mann sein Präsent auspackte, stießer einen Freudenschrei aus: It’s a garden gnome! Ein Gartenzwerg. Juhu.
Und so steht nun ein kleiner Mann mit Mütze in unserem Blumenbeet, und jedes Mal, wenn ich an ihm vorbeigehe, scheint er mich triumphierend anzugrinsen. Leider ist es wegen des Zauns, der den Garten umgibt, nicht sehr wahrscheinlich, dass unser Zwerg jemals auf Reisen geht –anders als Murphy, der vor drei Jahren hier in Großbritannien Schlagzeilen machte, weil er eines Tages von seinem Platz in einem Vorgarten verschwunden war und seinen Besitzern nur eine Nachricht hinterlassen hatte, in der er mitteilte, dass er mehr von der Welt sehen wolle: „Das Leben hat mehr zu bieten, als dem Straßenverkehr zuzuschauen und sich von Katzen vollpinkeln zu lassen.“Doch nach einigen Monaten war Murphy wieder da, stand im Vorgarten, zusammen mit einem Fotoalbum, das ihn unter anderem beim Baden in Thailand, auf einem Gletscher in Neuseeland, im Arm von zwei vietnamesischen Jungen und auf dem Tafelberg in Südafrika zeigte.
Eine Gartenzwerg-Reise verspricht also keine dauerhafte Lösung des Problems. Vielleicht sollte ich stattdessen der Front zur Befreiung der Gartenzwerge mal einen Tipp geben –die Organisation hat sich zum Ziel gesetzt, der Unterdrückung und Versklavung der Gartenzwerge ein Ende zu bereiten und ihnen die Freiheit zurückzugeben. Dann kann er in seinem natürlichen Lebensraum nach seiner Fasson glücklich werden. Der Mann wäre allerdings sehr betrübt.
Wenn Sie heute also noch schnell ein Geschenk suchen, denken Sie daran: Auch kleine Geschenke können großen Schaden anrichten.
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen allen FRÖHLICHE WEIHNACHTEN und einen GUTEN START INS NEUE JAHR!