Die neuen Kinder vom Bahnhof Zoo

Die neuen Kinder vom Bahnhof Zoo

In der Adblock-Debatte ist bisher ein wichtiger Aspekt unterrepräsentiert geblieben. Und die Debatte darüber, ob das Einbetten von YouTube-Videos urheberrechtlich zulässig ist, wird uns noch einige Zeit beschäftigen. Außerdem: Das Handelsblatt hat Ärger mit Lesern aus dem AfD-Milieu.

Mit der EU-Urheberrechtslinie einzusteigen, ist natürlich kein kleines Risiko, denn die ist nur etwas für Feinschmecker. Sie spielt aber eine wichtige Rolle in der Betrachtung des tagesaktuell wichtigsten medienrechtlichen bzw. netzpolitischen Themas. Es geht um das Framing bzw. Embedding bzw. Einbetten von YouTube-Videos, mit der sich der Bundesgerichtshof gerade beschäftigt hat. Wolfgang Janisch informiert uns auf der SZ-Medienseite:

„Die Entscheidung, ob dies urheberrechtlich problematisch ist, hat der BGH jetzt vertagt; er hat den Fall dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg vorgelegt.“

Ausgangspunkt der Causa, so Janisch, ist „ein Video zum Thema Wasserverschmutzung, den ein Hersteller von Filtersystemen bei Youtube eingestellt hatte. Einem Konkurrenten gefiel der Film so gut, dass er ihn kurzerhand der eigenen Kundschaft präsentierte“. Das wiederum gefiel dem Urheber ganz und gar nicht. Eine online verfügbare Beschreibung findet man im Lawblog.

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netzpolitik.org fasst derweil zusammen, wie die wichtigsten Blogs die Entscheidung des BGH, keine Entscheidung zu treffen, einschätzen. Leonhard Dobusch schreibt, die Karlsruher Richter hätten sich jetzt an den EuGH gewandt, weil dieser

„klären (soll), ob der Fall des Framings doch eine öffentliche Wiedergabe im Sinne des Art. 3 Abs. 1 der EU-Urheberrechtslinie (InfoSoc-RL) darstellt. Sollte der EuGH diese Frage bejahen, dann müsste man vor dem Einbetten eines Videos in Zukunft klären, ob das Video auch tatsächlich vom Rechteinhaber auf YouTube oder einer anderen Videoplattform eingestellt wurde, um die Gefahr einer Abmahnung auszuschließen. Interessant an der ganzen Fallkonstellation ist der Umstand, dass es sich bei Art. 3 der InfoSoc-RL um eine bewusst offen formulierte Bestimmung handelt, die eben auch unbenannte Verwertungsrechte umfasst. Die in Art. 3 der InfoSoc-RL bzw. in § 15 des deustchen Urheberrechtsgesetzes angeführten Verwertungsformen sind deshalb nur beispielhaft angeführt.“

[+++] Zumindest am Rande ums Urheberrecht geht es in der Auseinandersetzung zwischen der SZ und Dagmar Wöhrl, einer sehr feinen CSU-Dame, die versucht hat, durch Vorabveröffentlichung auf ihrer eigenen Website eine Recherche der Zeitung zu torpedieren (siehe Altpapier). Damit beschäftigt sich jetzt Cicero Online. Petra Sorge diskutiert die Frage, ob eine „Erosion der investigativen Recherche“ dadurch droht, dass jeder, der von einem Journalisten schriftlich irgendwas gefragt wird, heute die Möglichkeit hat, die Fragen schon vorab in die Welt zu pusten. Dies offenbare

„ein Dilemma der digitalen Welt: Darf ein Betroffener unliebsame Anfragen unterwandern, indem er schnellere, eigene Kanäle für die Verteidigung wählt? Was folgt daraus für die langsameren Printpublikationen? Ist mit der Erosion der konfrontativen Recherche gar ihr Geschäftsmodell bedroht? Andererseits: Könnte das Recherchemedium durch die Gegenveröffentlichung im Netz nicht zusätzlich an Aufmerksamkeit und damit Lesern gewinnenn (...)?“

Diese Fragen hat Sorge auch dem Netzwerk Recherche gestellt, das sich dazu aber habe nicht äußern wollen, wie die Autorin bemerkt.

Man könnte aber auch mal über etwas ganz anderes diskutieren: Wenn Dokumente Verfehlungen eines Politikers eindeutig belegen - in diesem Fall bekam die SZ Material aus dem engstem Umfeld der Bundestagsabgeordneten Wöhrl zugespielt - und die Recherche juristisch abgesichert ist, muss man dann überhaupt Fragen stellen? Klar, man macht so etwas aus Fairness-Gründen. Aber wer fair spielt, gewinnt nicht immer.

[+++] Das erfährt in einem ganz anderen Zusammenhang auch gerade das Handelsblatt. Es hat Ärger mit Sympathisanten der Alternative für Deutschland (AfD) - und zwar trotz einer alles andere als unfairen Berichterstattung. Anlass sind ein Interview mit dem Splitterpartei-Vorsteher Bernd Lucke und eine Passage in einem Kommentar, der die Position Luckes aus dem Interview zusammenfasst mit der Formulierung: „Der AfD-Boss setzt darauf, dass er auch am rechtsextremen Rand bei der NPD nach Wählern fischen kann.“ Ein Satz, der nüchtern betrachtet ungefähr die Sprengkraft der These hat, dass zu den wichtigsten Zielgruppen der FDP Unternehmer gehören.

Oliver Stock, der Online-Chef des Handelsblatts, reagiert nun auf die Reaktionen. In diesem Zusammenhang präsentiert man auch einigermaßen genüsslich „eine Art ‚the best of'“ der Zuschriften. Die schönste stammt von einem „sich sorgenden Familienvater“:

„Wir sind ehrliche Menschen die sich Sorgen um Deutschland machen und stehen weder RECHTS noch LINKS! Wir sind vernünftig und setzen auf objektive, sachliche Argumentation! Ich fordere Sie hiermit auf das klar zu stellen oder Sie werden einen Shitstorm erleben, den Sie nicht aufhalten können!“

Dass Menschen, die sich „Sorgen um Deutschland“ machen, Probleme mit den in der deutschen Sprache geltenden Kommaregeln haben, ist wenig überraschend. Dass dieser Familienvater klingt wie eine bisher noch nicht gekannte Mischung aus Gernot Hassknecht und Herrn Müller-Lüdenscheid, ist aber einigermaßen sensationell.

Ähnlich drollig klingt allerdings auch Stock, wenn er sagt:

„Ich meine, die Anti-Euro-Partei und ihr Chef sollten sich deutlich von diesen falschen Freunden distanzieren.“

Hat die Partei denn andere?

[+++] In der Debatte um Adblocker (siehe Altpapier) ist bisher ein Aspekt zu kurz gekommen. Darauf weist Constanze Kurz in ihrer FAZ-Kolumne „Aus dem Maschinenraum“ hin. Es geht nämlich nicht nur um lästige Werbung:

„Aus gutem Grund verwenden Online-Leser Adblocker: Sie erkennen, filtern und blockieren nicht nur blinkende Werbebanner, unerwünschte Pop-ups oder Audio-Elemente der Reklame, sondern verhindern meist auch das sogenannte übergreifende Tracking des Surfverhaltens. Gleichzeitig mit Werbebannern werden oft Mechanismen verwendet, um Websites-Besucher durch das Netz zu verfolgen und so Persönlichkeitsprofile zu bilden und die Nutzungsdaten zusammenzuführen. Nachdem sich auch die deutschen Verlage im Kampf um die derzeit diskutierte Europäische Datenschutznovelle unter anderem dadurch hervorgetan haben, dass sie Regelungen zum Schutz von Minderjährigen bei der Erfassung und Datenverwertung sabotiert haben, ist dieses Tracking kein unerheblicher Aspekt der Diskussion.“

[+++] Das bevorstehende lange Wochenende wird dem einen oder anderen die Gelegenheit geben, sich mit langen Texten zu beschäftigen. Darauf setzt möglicherweise die Funkkorrespondenz, die ein Theorie-Sonderheft zum Thema „Medienevolution“ vorlegt. Fünf Referate sind hier versammelt, gehalten auf einem Seminar der letztjährigen Cologne Conference. Dort wurde, wie die FK zusammenfasst, „unter anderem darüber debattiert, ob das World Wide Web als Übermedium, durchaus im nietzscheanischen Sinne, eigene spirituelle und soziale Strukturen ausbilden kann, die sich von Organisationsform und Gehalt herkömmlicher Massenmedien grundsätzlich unterscheiden“.

In einem der Texte beschäftigt sich Lutz Hachmeister unter anderem mit dem 100 Jahre alten „Rieplschen Gesetz“, das, „in knapper Interpretation“ besagt, dass „ ‚neue Medien‘ die jeweils älteren nicht vollständig verdrängen, sondern diese in modifizierter Form und Funktion überleben“. Hachmeister schreibt zu dieser in aktuellen Mediendebatten immer mal wieder aufgegriffenen Interpretation:

„Bei einem präziseren Blick auf Riepls Untersuchung (immerhin einem Ansatz, der Aspekte der Medienevolution berührt) wird schnell klar, dass die Kategorien ‚Ergänzung‘ und ‚Verdrängung‘ ziemlich unscharf sind – interessanter wäre es, Dominanzen und Marginalisierungen zu untersuchen. (...) Riepls interessanter Blick auf das antike ‚Nachrichtenwesen‘ ist jedenfalls nicht unbedingt auf alle Medienkonfigurationen und Kommunikationstechnologien zu übertragen.

Und was hat es mit dem Begriff „Medienevolution“ eigentlich auf sich?

„(E)ine der Hauptfragen an die Idee einer Medienevolution (lautet), wie sehr Konzepte und Begriffe der biologischen Evolutionstheorie (Selektion, Adaption, Variation, Effizienz) auf Medien- und Informationsökologien übertragen werden können, ohne bei einem planen Medien-Darwinismus zu landen. Zudem gibt es eine Grundangst der Sozial- und Kulturwissenschaften, durch neuro- und soziobiologische Theoreme in einen engen Sinnbezirk folkloristischer Gesellschaftsbeobachtung zurückgeworfen zu werden (...)“

[+++] Ebenfalls keinen leichten Stoff bietet offenbar Tumult, eine Vierteljahreszeitschrift für, puh, „Selbstdenker“. Mit dem Begriff meinen jedenfalls die Macher, für ihr Projekt werben zu müssen. Die Berliner Zeitung hat die „neue“ - vielleicht aber schon ältere und jetzt gerade relaunchte - Zeitschrift gelesen: Die Texte seien „länger als die Leitartikel einer Tageszeitung, aber kürzer als die Aufsätze im Merkur oder Lettre International – Zeitschriften mit ähnlichem intellektuellen und interdisziplinären Anspruch.“ Es gehe im Heft „zumeist ausgesprochen abstrakt bis aufgekratzt zu, etwas übellaunig und auf Entlarvung aus.“ Ulkiger Kram steht aber offenbar auch drin, der emeritierte Soziologie-Professor Alexander Schuller schreibt dort etwa, die Mitglieder der Piratenpartei seien „unsere Kinder vom Bahnhof Zoo“.


ALTPAPIERKORB

+++ Joachim Huber beschäftigt sich im Tagesspiegel mit den Studien „Sparten- und Formattrends im deutschen Fernsehen“ und „Profile deutscher Fernsehprogramme“ aus der aktuellen Ausgabe der Media Perspektiven, ohne allerdings zu erwähnen, dass diese „Medienzeitschrift“ von der Werbetochter der ARD herausgegeben wird. Es gebe einen „Abschwung des Fernsehens als Informationsquelle zwischen ‚Tagesschau‘ und Boulevardmagazin“, fasst Huber zusammen.

+++ In China sei erstmals „ein Vizeminister“ durch einen Blogeintrag „gestürzt“ worden, berichtet die taz. Verantwortlich für den Sturz ist Luo Changping, der stellvertretender Chefredakteur des Wirtschaftsmagazins Caijing. Felix Lee schreibt: „Das Interessante an der Enthüllung: Luo veröffentlichte sie nicht in der Printausgabe des Wirtschaftsmagazins, dem er vorsteht. Er schrieb darüber in seinem Privatblog. Dabei ist Caijing eine der wenigen Zeitschriften, die nicht in staatlicher Hand sind und damit der Zensur weniger ausgesetzt als die staatlichen Zeitungen und Magazine. Den Wirtschaftstiteln hat die chinesische Führung vor einigen Jahren mehr Freiraum gegeben, um Korruption aufzudecken. Genau darauf hat sich Caijing auch spezialisiert. Doch die Verfehlungen eines Spitzenfunktionärs aufzugreifen - das war auch Caijing offensichtlich zu heikel. Der stellvertretende Chefredakteur Luo zog seinen Blog vor.“

- Ebenfalls in der taz: Marc Bator „läuft sich warm für eine Weltkarriere“, spottet David Denk. Anlass ist der Trend, dass sich Moderatoren und Präsentatoren von Nachrichtensendungen (siehe auch Tom Buhrow!) „sich mittlerweile zu Höherem berufen fühlen“.

+++ Keinen nennenswerten Unterschied zwischen vorne und hinten macht die Zeitschrift Cosmopolitan in ihrer aktuellen Ausgabe: Das Model auf dem Titelblatt und das Reklamemodel auf der letzten Umschlagseite sind identisch. Klatschkritik berichtet.

+++ Burda plant eine Zeitschrift übers Teilen, die „möglicherweise Share heißen wird“, meldet die SZ auf ihrer Medienseite kurz.

+++ Was macht eigentlich Google+? Das soziale Netzwerk des Konzerns hat sich gerade mächtig aufgehübscht, aber wird es etwas bringen? Eher nicht: „Where Facebook is rather stolid – it has its own beautification initiative going on, but feels hamstrung by its need to retain some visual consistency with its past self — Google+ is exuberant. It’s fun to use. And yet I’m pretty positive I won’t spend remotely as much time in it as I will in Facebook“, schreibt Harry McCracken (Time Magazine).

+++ „Wer die Veränderungen in der innenpolitischen Debatte beurteilen will, sollte sich eine Sendung der bis Juli 2007 ausgestrahlten Talk-Show von Sabine Christiansen ansehen – und die mit der gestrigen Sendung von Maybrit Illner vergleichen.“ Das schreibt Frank Lübberding in einer faz.net-Frühkritik zu einer Illner-Show, in der es um die Rente ging.

+++ Fernsehen am Wochenende: „Unvergessen“, die neue „Tatort“-Folge aus Wien, gehöre zu den besten Filmen, die in Reihe „in der letzten Zeit“ zu sehen waren, meint Heike Hupertz (FAZ, Seite 39). Er stelle „das Wesen des Krimis in Frage“. Na dann!

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